Ein auf die Ehr’ erpichter Bär
Saß in dem Schnee bei einem Strauch
Und dacht’: »Ei, wüßt’s die Nachwelt auch,
Wie groß mein Leib gewesen wär’,
Ich würde selbst nach meinem Sterben
Bei solcher Dank und Ruhm erwerben.«
Er sprach darüber seine Jungen
Und sagt’: »Ich sehe mich gezwungen,
Dass ich den großen Körper messe,
Damit ich dessen seltne Größe
Der Nachwelt so für Augen lege,
Dass sie es deutlich fassen möge.«
Bald fielen ihm die Jungen bei
Und schwuren: »Ja, bei unsrer Treu’,
Wir sahen auch schon viele Bären;
Jedoch es wird noch lange währen,
Eh dass in unserm Königreiche
Sich einer dir an Größe gleiche;
Deswegen sei darauf beflissen,
Dass es die späten Enkel wissen.«
Der Alte dacht’ jetzt allgemach
Dem edeln Unternehmen nach
Und rief, als er’s zuletzt erfunden,
Indem die Kinder um ihn stunden:
»Führwahr, es haben Kunst und Witz
In meinem Körper ihren Sitz.«
Stracks leget er sich in den Schnee,
Er streckt die Pfoten in die Höh’
Und heißt die Kleinen auf ihn treten;
Dann sagt er: »Jetzo will ich wetten,
So sieht man Haut, so sieht man Haar,
Zusammt der Größe sonnenklar.
Kein Fürst hat noch in seinem Schild
Von einem Bär ein schöners Bild.«
Ein jeder von den Jungen preist
Des alten Bären feinen Geist,
Indem den Abdruck sie betrachten
Und ihn des Urbilds würdig achten.
Ein jeder spricht: »Es ist geraten;
Fürwahr, der Alte hat’s erraten.«
Sie dachten alle nicht so weit,
Dass dieses Werk trotz seiner Würde,
Trotz aller seiner Ähnlichkeit
Im nächsten Schnee vergehen würde,
Der wirklich noch denselben Tag
Schon auf des Bären Kunststück lag.
Johann Ludwig Meyer von Knonau
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