4. §. Doch wir müssen näher auf die rechten Fabelschreiber kommen. Unter den Persern ist Lockmann berühmt geworden, ja sein Ruhm ist bis nach Indien, Aegypten und Nubien gedrungen. Die heutigen Türken kennen ihn, und setzen ihn in Davids Zeiten: worinn sie sich aber, wenn er wirklich Aesopus gewesen seyn sollte, etwan um drey bis 400 Jahre irren. Man hat diese Fabeln auch in heutigen abendländischen Sprachen. Strabo erzählet, die Lehrer unter den Persern pflegten ihren Schülern die Sittenlehre in Erdichtungen vorzutragen. Cyrus, der Stifter ihrer Monarchie, erzählet beym Herodot den Gesandten der Ionier und Aeolier eine Fabel. Indessen ist sehr zu vermuthen, daß dieser Lockmann eben der phrygische Aesopus sey, den fast jedes Volk sich hat zueignen wollen. Die Araber geben vor, er sey von hebräischem Geschlechte gewesen; die Perser halten ihn für einen Aethiopier, welches denn die Etymologie des Namens Aesopus (AETHIOPS) zu bestätigen scheint. Sein Leben, welches Mircond beschrieben hat, kömmt sehr mit des Planudes Leben Aesops überein. Jenem, dem Lockmann, geben Engel die Weisheit; im Philostratus muß Mercur dem Aesop die Fabel eingeben. Kurz, die orientalischen Völker sagen, die Griechen hätten ihnen den Lockmann gestohlen, um ihren Aesop daraus zu bilden. Adam Olearius hat jenes Fabeln verdeutschet, und am Ende des persischen Rosenthals angehänget: Erpenius aber hat sie aus dem Arabischen ins Lateinische gebracht.
Johann Christoph Gottsched
Des I. Abschnitts II. Hauptstück.
Von äsopischen und sybaritischen Fabeln,
imgleichen von Erzählungen
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