Freitag, 18. Juli 2008

Die Fabel vom philosophischen Storch



Ein Storch grübelte viel über die im Reiche der Vögel bestehende Ungleichheit. Ihn ärgerten die Enten, die im schmutzigen Tümpel unter ihm lebten, die Adler, die auf den wilden Felsen horsteten, und die Nachtigallen, die im Gebüsch ihre Nester bauten. Endlich kam er zu dem Schluß, daß die Erziehung allein die Ursache dieser Mißstände sei. So flog er denn umher und bat sich von der Ente, dem Adler und der Nachtigall je ein Ei aus, um wie er sagte, einen für die Vogelwelt wichtigen Versuch zu machen, durch den die Gleichheit aller fliegenden Geschöpfe gesichert würde.

Dann brütete er seine Pflegebefohlenen sorgfältig aus. Und siehe: das kleine Entchen war kaum flügge, so flog es davon, stürzte sich kopfüber in den Tümpel und begann lustig zu schwimmen, der kleine Adler flog hinauf in die Felsen und kam nicht wieder, die Nachtigall aber starb, denn sie konnte die Storchnahrung nicht vertragen.

Der Storch klapperte nun in tiefen Gedanken. Daß er sich geirrt haben könne, gab er nicht zu, war er doch ein weiser Mann, und so sagte er, unbelehrt durch den Mißerfolg seiner genialen Probe: »Das Prinzip ist dennoch richtig, ich muß nur nach einer neuen Methode suchen. Ehe nicht alle Vögel Störche sind, ist ein Fortschritt im Vogelreich unmöglich.«

So sinnt der Philosoph heute noch auf die neue Methode.

E.T.

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