Samstag, 29. Dezember 2018

Der betrogene Teufel

Die Araber hatten ihr Feld bestellt,
Da kam der Teufel herbei in Eil’;
Er sprach: Mir gehört die halbe Welt,
Ich will auch von eurer Ernte mein Teil.

Die Araber aber sind Füchse von Haus,
Sie sprachen; die untere Hälfte sei dein.
Der Teufel will allezeit oben hinaus;
Nein, sprach er es soll die obere sein.

Da bauten sie Rüben in einem Strich;
Und als es nun an die Teilung ging,
Die Araber nahmen die Wurzeln für sich,
Der Teufel die gelben Blätter empfing.

Und als es wiederum ging ins Jahr,
Da sprach der Teufel im hellen Zorn;
Nun will ich die untere Hälfte fürwahr,
Da bauten die Araber Weiz und Korn.

Und als es wieder zur Teilung kam,
Die Araber nahmen den Ährenschnitt,
Der Teufel die leeren Stoppeln nahm
Und heizte der Hölle Ofen damit.

Friedrich Rückert

Mittwoch, 17. Oktober 2018

Buddhas Lamento






Noch stand ich staunend vor dem Zaun und wunderte mich über die Stille, die rings um den Baum sich zu verbreiten schien. Ruhig floß der Main im Hintergrund und etwas seitwärts saß der Buddha in ständiger, tönernen Versenkung. Der Wunsch einzutreten und mich der Stille einzufügen, wurde übermächtig. Da sprach der Buddha laut und vernehmlich: »Bleib draußen, Wanderer. Die Stille, die du wahrzunehmen wähnst, ist nichts als Lärm, der die Ruhe scheucht.« Irritiert schaute ich auf die unbewegliche Gestalt, deren Augen immer noch geschlossen waren. Um diese Wahn zu verscheuchen sagte ich laut: »Aber ich höre doch keinen Ton!« Ein leises Lachen war die Antwort. »Narr! Lärm besteht nicht nur aus Tönen«, erwiderte der Buddha. »Auch die Stille kann schreien.« Ich stellte mein Fahrrad ab und trat näher. »Aber…« rief ich, senkte meine Stimme dann jedoch erschrocken zu einem Flüstern ab. »… wenn man doch nichts hört, keinen Ton, dann muss doch Stille sein!«  Wieder dieses Lachen und fast meinte ich, die Statue mit dem Kopf schütteln zu sehen. Ich sah genauer hin – und erkannte nun keine Bewegung des Buddhas mehr. »Die äußere Stille ist das eine«, belehrte mich der Erhabene. »Wie aber sieht es mit deiner inneren Stille aus?« Skeptisch versuchte ich in mich hineinzuhorchen und in die vermeintliche Lautlosigkeit meines Selbst klang die Stimme des Buddhas wie ein Schrei: »Wie kann in Dir die Stille herrschen, wenn Du meine Stimme noch vernehmen kannst?« Verblüfft sah ich ein Wimpernzucken der Statue. Ich schloss die Augen, öffnete sie wieder und schon war alles vorbei.

»Kommst du?«, rief meine Frau. »Wir wollen weiter.« Ergeben und doch ein bisschen sehnsuchtsvoll schob ich mein Fahrrad an diesem Garten der vermeintlichen Stille vorbei, schwang mich auf den Sattel und trat in die Pedale.


Horst-Dieter Radke

Freitag, 27. Juli 2018

Der Mond und der Komete


Die Zeit verbarg des Tages Schein,
Die Nacht schwang ihre feuchten Flügel,
Schon über die bethauten Hügel,
Und schlummerte den Erdkreis ein,
Ihr Schatten wich dem Sternenlichte,
Der Mond strich sein verhüllt Gesichte
Mit silberfarbnen Hörnern an,
Nicht weit von ihm stund ein Komete,
Der seinen Sweif in schiefer Bahn
Nach dem bestirnten Süden drehte.

Weißt du auch, Nachbar! Sprach der Mond,
Wie schrecklich von dir auf der Erde
Von manchem Volk geredet werde,
Das ihr verdunkelt Rund bewohnt?
Man sagt, du seyst ein Unglücksbote,
Der Hunger, Pest und Würgen drohte,
Dein Anblick schrecke, was sterblich ist,
Ja, es besorgt der Mensch nicht selten,
Wenn du am Himmel sichtbar bist,
Den nahen Umsturz aller Welten.

Wie? Ich, o Mond! Wo denkst du hin?
Rief der erstaunende Komete,
Ich sey ein Pest- und Kriegsprophete?
Weiß denn die Erde, daß ich bin?
Ja! Fiel die Antwort, alle Schritte,
Die du gethan, und alle Tritte,
Die du noch thun sollst, sind bestimmt.
Man hat das Maaß von deinem Gange,
Und wenn dein Stral den Rückweg nimmt,
Das weiß man auf der Erde lange.

So wissen, fiel der Schwanzstern ein,
Vermuthlich auch die Erdenleute
Die zwischen uns gesetzte Weite,
Wie kann ich ihnen schrecklich seyn?
Warum nicht? Sagte der Planete,
Man hat gemerkt, wenn eine Komete
Sich unserm Erdenball genaht,
Das Theurung, Seuchen, Krieg entstunden,
Und da es niemand anders that,
Ward der Komete Schuld befunden.

Wahr ists, man hört genug von Pest,
Von Theurung und von Kriegsgetümmel,
Wenn auch dein Stern im obern Himmel
Der Erde sich nicht sehen läßt.
Hier wurde der Komet entrüste:
O, wenn ihr meinen Ursprung wüßtet,
Verleumdrisches Geschlecht! sprach er,
Was mögt ihr euch für Fallen graben,
Da nicht einmal die Sterne mehr
Vor euch am Himmel Friede haben?

M.G.Lichtwerns, Königl. Regierungs-Raths
im Fürstenthum Halberstadt,
Fabeln in vier Büchern, gedruckt bey
Joh. Thom. Edl. V. Trattnern, 1769

Mittwoch, 4. Juli 2018

»Das Einhorn in Paris« nun als E-Book

Das »Einhorn in Paris« ist nun auch als E-Book in Amazons kindle store zu haben.


Donnerstag, 26. April 2018

Pferd und Einhorn

Das Pferd begegnet einem Einhorn.
»Wo hast du deine Flügel?« fragt das Einhorn.
»Ich habe keine Flügel. Noch nie gehabt«, antwortet das Pferd.
»Aber alle Pferde haben kleine farbige Flügel und können fliegen.«
»Nein«, sagt das Pferd, »das ist ein Märchen. Alle Pferde müssen auf ihren vier Hufen laufen, Lasten und Menschen herumtragen oder im Viereck reiten.«
»Ich kenne ein Pferd mit Flügel«, sagt das Einhorn sehr stolz.
»Nein«, sagt das Pferd, »das glaubst du nur. Und das ist ja auch schön.«
Das Einhorn geht und macht sich auf die Suche nach dem Pferd mit den Flügeln.

Montag, 5. Februar 2018

Friedrich von Hagedorn

Friedrich von Hagedorn
Zur 200. Wiederkehr seines Todestages
Von Ludwig Hübsch
Innsbrucker Nachrichten vom 22.4.1908

Wenige Namen sind so schnell dem Gedächtnis des deutschen Volkes entschwunden, wie der dieses liebenswürdigen Dichters. Und doch war Friedrich von Hagedorn einer der beliebtesten und geehrtesten Menschen seiner Zeit; ein Mann, der bei seinen Zeitgenossen Gellert, Bodmer, Rabener und anderen in hohem Ansehen stand; von dem selbst ein Lessing beeinflußt wurde. J.JH. Eschenburg, der geistreiche und um die deutsche Literatur hochverdiente Professor am Carolineum zu Braunschweig (1743 bis 1820) erzählt, »daß Hagedorn alle Freitage bei seinem Freunde Carpfer in Hamburg zu Tische war, wo sich dann die geistvollsten Männer, Reisende – worunter auch Personen fürstlichen Standes – einfanden, um seine Gesellschaft zu genießen.« Und heute? Wer kennt, wer liest heute Hagedorn? Auf diese Frage könnten nur wenige bejahend antworten. Außer dem humorvollen Gedichte »Johann der Seifensieder«, das in allen Schullesebücher zu finden ist, wird heute wohl so ziemlich alles, auch seine vortrefflichen fabeln, vergessen sein. Das ist schade, wirklich schade, denn Hagedorns Lieder, seine Fabeldichtungen und eine kleine Anzahl seiner Epigramme besitzen heute noch Lebendigkeit und Wert.
Manche seiner Gedichte sind von einer zartfröhlichen Leichtigkeit, Schalkhaftigkeit und einer, von natürlicher Anmut geleiteten Grazie und Naivität, die an Anakreon erinnert. So »Der Tag der Freude«:

Umkränzt mit Rosen eure Scheitel
(Noch stehen euch die Rosen gut)
Und nennet kein Vergnügen eitel,
Dem Wein und Liebe Vorschub tut.
Was kann das Totenreich gestatten?
Nein! Lebend muß man fröhlich sein!
Dort herzen wir nur kalte Schatten:
Dort trinkt man Wasser und nicht Wein.

Echt anakreontische Fröhlichkeit atmen auch »Der Mai«, »Doris und der Wein«, »Phryne«, »Der verliebte Bauer«, »Der ordentliche Hausstand« und viele andere Lieder. Mit Hagedorn beginnt eigentlich wieder eine neue Blütezeit des deutschen Liedes, das durch die zweite schlesische Dichterschule und besonders durch ihre Hauptvertreter Hoffmannswaldau und Lohenstein geradezu barbarisch behandelt worden war.
Einige seiner wenigen Lieder sind oftmals vertont worden und werden heute noch gesungen. Ich nenne nur: »Die Vögel«, »Die Empfindung des Frühlings«, »An die Freude«, »Der Kuckuck« und »Der Morgen«. Besonders das letztgenannte Lied ist entzückend und formvollendet. Hier die erste Strophe:

Uns lockt die Morgenröte
In Busch und Wald,
Wo schon der Hirten Flöte
Ins Land erschallt.
Die Lerche steigt und schwirret,
Von Lust erregt;
Die Taube lacht und girret,
Die Wachtel schlägt.

Hagedorns Epigramme sind treffend, witzig und scharf, einfach und geistreich. Der größte Teil derselben hat allerdings für uns kein Interesse mehr, doch sind manche wegen ihrer Eigenart noch heute lesenswert. Einige mögen hier Platz finden:

Langweiliger Besuch macht Zeit und Zimmer enger:
O Himmel, schütze mich vor jedem Müßiggänger
*
Unzählig ist der Schmeichler Haufen,
Die jeden Großen überlaufen,
Solang er sich erhält.
Doch gleitet er von seinen Höhen,
So kann er bald sich einsam sehen
Das ist der Lauf der Welt.
*
Wer übertrifft den, der sich mild erzeigt?
Der jehne Freund, der es zugleich verschweigt.

Auch Hagedorns Oden und seine moralischen Erzählungen sind für uns belanglos und zudem auch ohne jede Originalität. Dagegen wäre eine größere Kenntnis und Verbreitung seiner Fabeln sehr wünschenswert. Einige derselben sind wirklich vortrefflich; man kann sie getrost den besten Fabeln Lessings an die Seite stellen. Genannt seien »Der Fuchs und der Bock«, »Der Hase und viele Freunde«, »Die Räuber und der Esel« und

»Die Eulen«.
Der Uhu, der Kauz und zwo Eulen
Beklagten erbärmlich ihr Leid:
Wir singen; doch heißt es wir heulen:
So grausam belügt uns der Neid.
Wir hören der Nachtigall Proben,
Und weichen an Stimme nicht ihr.
Wir selber, wir müssen uns loben.
Es lobt uns ja keiner, als wir.

Dann noch:

»Die Natter«
Als einst der Löwe Hochzeit machte,
Kroch zu der neuen Königin
Auch eine kleine Natter hin,
Dir zum Geschenk die schönste Rose brachte.
Doch jene weist sie ab und spricht
Ich nehme Rosen an; allein von Nattern nicht.
*

Über Hagedorns Lebensgang ist nicht viel zu berichten. Er wurde am 23. April 1708 in Hamburg geboren, wo sein Vater Konferenzrat war. Hier besuchte er das damals vorzüglich geleitete Hamburgische Gymnasium, studierte die alten, aber auch die neueren und ausländischen Dichter und gewann besonders die letztern lieb. Von 1726 bis 1729 studierte er in Jena die Rechte und ging sodann nach London, wo er bei dem dänischen gesandten Privatsekretär wurde. Im Sommer 1731 kehrte er über Brabant und Holland nach Hamburg zurück und erhielt zwei Jahre später eine Anstellung bei dem sogenannten English Court, einer alten Handelsgesellschaft. Da diese Stelle mit einem anständigen Gehalt verbunden war, so heiratete er bald darauf; die Ehe blieb kinderlos. Hagedorn widmete seine freie Zeit fortan der Poesie, der Freundschaft und dem geselligen Umgange. Am 28. Oktober 1754 starb er noch nicht ganz 47 Jahre alt, an der Wassersucht.
Möge der morgige Gedenktag nicht nur seinen Namen, sondern auch seine Werke dem deutschen Volke wieder in Erinnerung bringe; sie verdienen es!

Da hat der Autor (oder der Redakteur) einen ordentlichen Bock geschossen. Es handelte sich zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses sonst lesenswerten Artikels keineswegs um Hagedorns zweihundertsten Todes-, sondern Geburtstags.

Freitag, 2. Februar 2018

Die Fabel vom Raben und den Elstern

Nach einer alten Volkserzählung.


Es war einmal ein betagter, schon ein wenig räudig gewordener Rabe. Er hieß Jakob. Jakob lebte ganz allein in Mitten des großen Waldes, weshalb all die anderen Vögel ihn für reichlich seltsam befanden. Besonders die jungen Elstern flogen oft den weiten Weg zu seinem Nest – aus sicherer Entfernung lachten sie über ihn, nannten ihn Hinkebein oder Schlimmeres. Jakob tobte, schimpfte und flatterte, doch die frechen Elstern waren zu schnell für den armen, alten Vogel.
So ging es Jahr für Jahr, doch eines Tages, da rief Jakob: „Krahkrah, ich hab feinstes Silber und Geschmeide für euch!“ Die jungen Elstern horchten auf. „Was willst du dafür?“, krähten sie höhnisch zurück. „Schenk uns ein silbernes Messer, dann lassen wir dich einen Tag in Frieden. Schenk uns ein funkelndes Gedeck, dann bleiben wir eine Woche fern.“ „Aber im Gegenteil!“, krächzte der Rabe. „Ich schenke euch ein glänzendes Messer, auf dass ihr jeden Tag kommt. Ihr kommt nun täglich und verspottet mich. Zum Dank erhaltet ihr heute ein Messer, morgen ein Armband und übermorgen wieder ein Messer.“
Die Elstern lachten sehr über den dummen Narr. Von nun an kamen sie täglich, beschimpften ihren Gönner und erhielten ihre Gabe. Doch nach kaum einer Woche, da erklärte Jakob: „Ihr wisst, ich bin nur ein armer, alter Vogel, drum bitte ich euch: Kommt weiter täglich, beschimpft mich kräftig, doch ich kann euch nun nur noch jeden zweiten Tag ein Geschenk geben.“ Die Elstern sahen einander aus ärgerlich glänzenden Augen an: „Den weiten Weg für alle zwei Tage ein Teelöffelchen? Aber nur weil du es bist.“
Sehr mürrisch kamen sie nun und als der Rabe nach kaum einer weiteren Woche gestand: „Ich habe nichts mehr, dass ich euch schenken könnte. Doch ich bitte euch, kommt weiter.“, da sagten die Elstern zu einander: „Das kann er doch nun wirklich nicht verlangen! Den langen Weg, die Lungenkraft, die Zeit, die uns das täglich kostet und wofür? Nur für den zum Gefallen? Also, nein, das geht nun wirklich nicht.“ Und zu Jakob sagten sie: „Nein, das tut uns leid. Melde dich einfach bei uns, wenn du wieder zahlen kannst, dann kommen wir gern und beschimpfen dich. Bis dahin, Lebewohl.“
Und so lebte der alte Rabe von jenem Tag an ungestört.

Mittwoch, 31. Januar 2018

Das Märchen vom Glück

Es war ein Mann, der Steine hieb aus dem Fels. Seine Arbeit war schon schwer, und der Lohn war gering, und zufrieden war er nicht. Er seufzte und rief: »O wäre ich reich und ruhte in einer Sänfte mit Vorhängen von rother Seide!«. Da kam ein Engel vom Himmel und sprach: »Dir sei, wie Du gesagt hast!« Und er war reich und er ruhte in einer Sänfte mit Vorhängen von rother Seide. Da fuhr der König des Landes vorbei, Reiter zogen ihm voran, Reiter folgten ihm, und der goldene Sonnenschirm wurde über seinem Haupte getragen. Das verdroß den Mann, dass der König mächtiger war als er, und er rief: »Ich möchte König sein!« Und der Engel kam vom Himmel und sprach: »Dir sei, wie Du gesagt hast!«
so beginnt das alte indische Märchen vom Glück, wie es der holländische Verwaltungsbeamte Dekler, der Dichter Multatuli, von Java oder Sumatra mitgebracht hat. Das uralte Lied vom Sehnen und Wünschen, das uralte Lied vom Hoffen auf das Glück, das uralte Lied von der Unzufriedenheit und der Bescheidenheit.
Der Mann wird König, aber die Sonne ist stärker als er, trotz des goldenen Sonnenschirms. Er wird die Sonne und versengt die Erde, aber eine Wolke stellt sich vor die Sonne und hindert ihre Macht. Er wird die Wolke und läßt Ströme hinabregnen, die das Land verwüsten und das Vieh wegschwemmen, aber der Fels weicht nicht seiner Kraft. Er wird der Fels, der starr dastand, ob die Sonne schien, ob es regnete. Aber es kommt ein Mann mit der Hacke, dem Meißel, dem Hammer und schlägt Steine aus dem Fels. Da wünscht er dieser Mann zu sein, und auch dieser Wunsch wird ihm erfüllt. Er wird ein Steinhauer und schlägt Steine aus dem Fels, mit schwerer Arbeit, für geringenLohn …
»Und er war zufrieden«, so schließt das Märchen. Ob es wohl wahr ist? Wer das Menschenherz kennt, der sollte wohl meinen, das Märchen könnte wieder von vorn anfangen.
Wir kennen das Märchen vom Glück alle, nur in etwas anderer Form. Diese Geschichte von dem Steinhauer kommt wohl der Urform am nächsten. Sie hat das Motiv am reinsten und klarsten bewahrt, am wenigsten beeinflußt von anderen Ideen und Vorstellungen. Als die Völker sich trennten und von der Urheimat in alle Windrichtungen auseinander zogen, da nahmen sie auch die Sehnsucht nach dem Glück mit und auch das Märchen vom Glück. Im Laufe der Jahrtausende erlitt das Märchen allerlei Wandlungen, aber die Sehnsucht blieb und das Glück kam nie.
Ein weiser Mann in Vorderindien, erzählt der Pantschatantra, das alte Weisheitsbuch der Könige, hatte eine Maus aus der Lebensgefahr gerettet und beschloß, sie bei sich zu behalten. Er verwandelte sie in ein Mädchen. Als das Mädchen herangewachsen war, sollte sie auf Geheiß des weisen Mannes, der auch ein mächtiger Mann war, einen Gatten wählen. Sie will den Mächtigsten zum Gatten haben, den Sonnengott. Der Sonnengott aber, der ihre wahre Natur kennt, denn die Sonne sieht alles, mag sie nicht und sagt: »Nicht doch, die Wolke, die mich verhüllen wird, die ist viel mächtiger.« Die Wolke verweist sie an den Sturmwind, der sie dahinjagt, der Sturmwind an den Berg, an dem er sich bricht. Gerade will sie den Berg zum Gatten wählen, da sieht sie, wie eine Maus ein Loch durch den Berg wühlt …
Hier ist an Stelle der einfachen Erhabenheit der ersten Geschichte der Humor getreten. Das Mädchen – schon das ist bezeichnend, daß es ein Mädchen ist – will den Mächtigsten wählen, aber jeder schiebt einen Mächtigeren vor, bis sie schließlich auf diesem Umwege zum Anfangspunkte zurückkehrt und der Ring sich schließt. Die Idee des Strebens nach dem Glücke ist zurückgedrängt, und die andere Idee, daß jeder Mächtige noch einen Mächtigeren hat, überwiegt. Hier ist es das Unscheinbare, was schließlich am meisten vermag: die Maus, die ja auch den Löwen aus seinen Stricken herausnagt.
Ein Tschandalamädchen – so erzählt das indische Buch Somadewa – wollte den Mächtigsten zum Herrn haben. Sie folgte dem Könige auf seinem Umritte durchs Land. Da kamen sie an einem Tempel vorbei; hier machte der König Halt, stieg vom Pferde und warf sich vor dem Götzen nieder. Da sah das Mädchen, daß das Steinbild mächtiger sein müsse und es wollte diesem dienen. Aber ein Hund kam und that an dem Steinbilde, wie manchmal respectlose Hunde thun, und das Steinbild duldete es. Doch ein Tschandalajüngling kam und prügelte den Hund, und ihm diente das Mädchen.
Hier ist der Humor schon ins Burleske übergeschlagen und die Idee des Märchens vom Glück so beinahe gänzlich verwischt.
Wer kennt nicht das deutsche Volksmärchen vom »Fischer un sine Fru«? Der Fischer hat durch Zufall Gewalt über einen Zauberfisch bekommen, den »Butje, Butje in den See«, und der muß ihm Wünsche erfüllen. Aber nicht er ist es, der immer wieder Wünsche hat, er wäre mit einer bescheidenen Aufbesserung zufrieden: Die Frau ist es, die immer mehr begehrt – »Mine Fru de Ilsebill, will nicht so as ick woll will –«. Sie wird schließlich Kaiser, ja sogar Papst, und zuletzt will sie der liebe Gott sein … da verfliegt das Glück und sie finden sich in ihrer elenden Hütte wieder.
Das Märchen erinnert in seinem Grundzuge an das vom Steinhauer. Es ist nur nicht die natürliche Sehnsucht nach dem Glück, die jeden Menschen innewohnt, es ist eine krankhafte Großmannssucht, die diese Evastochter beseelt und die schließlich aus dem Paradiese heraustreibt. Es ist etwas Herbes, etwas Weiberfeindliches darin, ganz anders, wie in den beiden indischen Geschichten, die das Treiben des naiven Dinges mit überlegenen Lächeln zu sehen scheinen. Auch die Führung der Erzählung steht nicht auf derselben Höhe. In den indischen Märchen haben wir überall einen sich von selbst schließenden Ring, eine leicht gleitende Entwicklung, die den Helden oder die Heldin zu ihrer Natur zurückführt, – das deutsche Märchen vermag das nicht, es führt die Rückkehr plötzlich und plump durch einen jähen Sturz herbei: zur Strafe für ihre Vermessenheit werden beide, die Schuldige und der Mitschuldige, wieder das, was sie waren! Das ist ein neues Motiv, aber kein besseres; es ist, als ob die Stiefmutter mit drohend geschwungener Ruthe in einen Reigen harmlos spielender Kinder stürzte.
Feiner ist in dieser Hinsicht die verwandte Geschichte von »Hans im Glücke«, die eine ähnliche Idee in umgekehrter Reihe, in absteigender Linie verfolgt. Hans hat für langjährige, schwere Arbeit einen Klumpen Gold erhalten und wollt heimwärts. Aber der Klumpen ist ihm zu schwer, er tauscht ihn gegen ein Pferd ein, das Pferd, das ihn abwirft, gegen eine Kuh, die  sich nicht melken läßt, diese gegen ein Schwein, eine Gans und schließlich gegen ein paar Schleifsteine, die er in den Brunnen wirft, weil er sie nicht mehr schleppen mag. So kommt er arm, aber lustig zu Hause an. Der Ring hat sich zwanglos geschlossen.
Hierher gehören auch die mancherlei Geschichten von den drei Wünschen, wie der hübsche Scherz, wo die Frau wünscht, daß zu der einfachen Speise ein paar Würstchen wären, worauf die Würstchen da sind – ein Anklang an das Tischlein deck dich, auch eine Form ersehnten Glückes, unter vielen anderen – der Mann ruft: »Wenn Dir doch bloß die Würste an der Nase hingen!«, womit auch der dritte Wunsch verwirkt ist, denn was sollte er machen? Er mußte die Würste wieder von der Nase herunter wünschen. Zu dieser Geschichte gibt es zahllose Varianten.
Hier thun sich noch weite Parallelen auf, zum Wunschhütchen, zur Tarnkappe, zum Schlaraffenland, und andererseits finden wir Anklänge an die griechischen Mythen vom Ikarusfluge, von der Fahrt des Phaethon, von Philemon und Baucis und vielerlei anderes.
Das weiter auszuführen möchte ich nun dem geschätzten Leser selbst überlasse, wie ich es ihm auch anheim geben muß, sich mit seiner Sehnsucht nach dem Glücke nach besten Kräften abzufinden. Da kann kein Mensch den anderen helfen, ich auch keinem, und keiner mir.

Karl Mischke
Innsbrucker Nachrichten
15. Januar 1901,   S.1 f.

Samstag, 13. Januar 2018

fabuloes als Buch


Nun gibt es »fabuloes« nicht nur als Blog, sondern auch als Buch und E-Book. Das Schönste aus den mehr als 1.300 Postings dieses Blogs themenorientiert zusammengestellt. Während der Blog nach wie vor gut zum stöbern ist, lädt das Buch zum schmökern ein. Natürlich wird der Blog weitergeführt. Fabeln, Parabeln und fabelhafte Beiträge gibt es noch genug.

Sonntag, 7. Januar 2018

Der Affe und der Zimmermann

Ein Affe, erzählt man, sah einen Zimmermann ein Stück Holz spalten vermittelst zweier Keile, indem er auf dem Holz rittlings saß. Das setzte den Affen in Erstaunen. Kaum war der Zimmermann nach einem anderen Geschäft fortgegangen, so erhob sich der Affe, und ergriff ein Geschäft, das nicht das seinige war. Er setzte sich nemlich rittlings auf das Holz, lehnte sich mit dem Rücken an den hintern Keil, und richtete sein Gesicht auf das Stück Holz. Da kamen seine Hoden in die Spalte zu hangen, und er zog den vordern Keil heraus und die Spalte klaffte zusammen. Da fiel er in Ohnmacht. Nach einiger Zeit kam der Zimmermann, und wie er den Affen an seiner Stätte sah, nahte er sich demselben und schlug ihn tüchtig durch. Die Schläge aber, die er von dem Zimmermann erhielt, verursachten ihm noch ärgere Schmerzen, als ihm das zusammenklaffende Stück Holz verursachte.

Calila und Dimna oder die Fabeln Bidpai’s.
Aus dem Arabischen von Philipp Wolff
Doctor der Philosophie, Privatdocenten der Orientalischen Literatur an der königl. Universität zu Tübingen, Mitlgiede der asiatischen Gesellschaft von Paris. 
Erstes Bändchen, 
J. Scheible’s Buchhandlung, 1837

Samstag, 6. Januar 2018

Die Musikanten

Ein Nachbar bat den andern einst zum Essen.
Doch war dabei noch List im Spiel:
Der Wirth hielt von Musik gar viel,
Und war darauf versessen,
Daß jener seine Sänger hört;
Jetzt wird ihm dieser Wunsch gewährt.
Die Burschen stimmen an, das geht durch Dick und Dünn,
Aus Leibeskräften schrein die Thoren,
Dem Gaste gellen schon die Ohren,
Es wird ganz schwindlig ihm zu Sinn.
»Erbarm dich doch«, so ruft er voll Verwirrung,
»Woran soll man denn da sich freun? Dein Chor
Brüllt Unsinn vor!«
– »Nun wohl«, versetzt der Wirth mit sanfter Rührung
»Ein wenig kreischen sie;
Doch dafür trinken sie auch Branntwein nie,
Und alle sind von bester Führung.«

Ich aber sage: trinke wohlgemuth,
Nur mach’ auch deine Sache gut.

Krylof’s sämmtliche Fablen
Aus dem Russischen übersetzt und
mit einer Einleitung begleitet
von Ferdinand Löwe
Leipzig: F.A. Brockhaus, 1874

Mittwoch, 3. Januar 2018

Das Einhorn in Paris


Fabelhafte phantastische Erzählungen gibt es in dem Buch "Das Einhorn in Paris".