Eine Fabel nach Lafontaine
Zwei Täubchen liebten sich mit zarter Liebe.
Jedoch, der weichen Ruhe überdrüssig,
Ersann der Tauber eine Reise sich.
Die Taube rief: »Was unternimmst du, Lieber?
Von mir willst du, der süßen Freundin, scheiden:
Der Uebel größtes, ist's die Trennung nicht?
Für dich nicht, leider, Unempfindlicher!
Denn selbst nicht Mühen können und Gefahren,
Die schreckenden, an diese Brust dich fesseln.
Ja, wenn die Jahrszeit freundlicher dir wäre!
Doch bei des Winters immer regen Stürmen
Dich in das Meer hinaus der Lüfte wagen!
Erwarte mindestens den Lenz! Was treibt dich?
Ein Rab' auch, der den Himmelsplan durchschweifte,
Schien mir ein Unglück anzukündigen.
Ach, nichts als Unheil zitternd werd' ich träumen
Und nur das Netz stets und den Falken sehn.
Jetzt ruf' ich aus, jetzt stürmt's: mein süßer Liebling,
Hat er jetzt alles auch, was er bedarf,
Schutz und die goldne Nahrung, die er braucht,
Weich auch und warm ein Lager für die Nacht
Und alles Weitre, was dazu gehört?« –
Dies Wort bewegte einen Augenblick
Den raschen Vorsatz unsers jungen Toren;
Doch die Begierde trug, die Welt zu sehn,
Und das unruh'ge Herz den Sieg davon.
Er sagte: »Weine nicht! Zwei kurze Monden
Befriedigen jedweden Wunsch in mir.
Ich kehre wieder, Liebchen, um ein Kleines,
Jedwedes Abenteuer, Zug vor Zug,
Das mir begegnete, dir mitzuteilen.
Es wird dich unterhalten, glaube mir!
Ach, wer nichts sieht, kann wenig auch erzählen.
Hier, wird es heißen, war ich; dies erlebt' ich;
Dort auch hat mich die Reise hingeführt;
Und du, im süßen Wahnsinn der Gedanken,
Ein Zeuge dessen wähnen wirst du dich.« –
Kurz, dies und mehr des Trostes zart erfindend,
Küßt er – und unterdrückt, was sich ihm regt –
Das Täubchen, das die Flügel niederhängt,
Und fleucht. –
Und aus des Horizontes Tiefe
Steigt mitternächtliches Gewölk empor,
Gewitterregen häufig niedersendend.
Ergrimmte Winde brechen los: der Tauber
Kreucht untern ersten Strauch, der sich ihm beut.
Und während er, von stiller Oed' umrauscht,
Die Flut von den durchweichten Federn schüttelt,
Die strömende, und seufzend um sich blickt,
Denkt er, nach Wandrerart, sich zu zerstreun,
Des blonden Täubchens heim, das er verließ,
Und sieht erst jetzt, wie sie beim Abschied schweigend
Das Köpfchen niederhing, die Flügel senkte,
Den weißen Schoß mit stillen Tränen netzend;
Und selbst, was seine Brust noch nie empfand,
Ein Tropfen, groß und glänzend, steigt ihm auf.
Getrocknet doch, beim ersten Sonnenstrahl,
So Aug' wie Leib, setzt er die Reise fort
Und kehrt, wohin ein Freund ihn warm empfohlen,
In eines Städters reiche Wohnung ein.
Von Moos und duft'gen Kräutern zubereitet
Wird ihm ein Nest, an Nahrung fehlt es nicht,
Viel Höflichkeit, um dessen, der ihn sandte,
Wird ihm zuteil, viel Güt' und Artigkeit:
Der lieblichen Gefühle keins für sich.
Und sieht die Pracht der Welt und Herrlichkeiten,
Die schimmernden, die ihm der Ruhm genannt,
Und kennt nun alles, was sie Würd'ges beut,
Und fühlt' unsel'ger sich als je, der Arme,
Und steht, in Oeden steht man öder nicht,
Umringt von allen ihren Freuden, da
Und fleucht, das Paar der Flügel emsig regend,
Unausgesetzt, auf keinen Turm mehr achtend,
Zum Täubchen hin und sinkt zu Füßen ihr
Und schluchzt in endlos heftiger Bewegung
Und küsset sie und weiß ihr nichts zu sagen –
Ihr, die sein armes Herz auch wohl versteht!
Ihr Sel'gen, die ihr liebt, ihr wollt verreisen?
O, laßt es in die nächste Grotte sein!
Seid euch die Welt einander selbst und achtet
Nicht eines Wunsches wert das übrige!
Ich auch, das Herz einst eures Dichters, liebte:
Ich hätte nicht um Rom und seine Tempel,
Nicht um des Firmamentes Prachtgebäude
Des lieben Mädchens Laube hingetauscht!
Wann kehrt ihr wieder, o ihr Augenblicke,
Die ihr dem Leben einz'gen Glanz erteilt?
So viele jungen, lieblichen Gestalten,
Mit unempfundnem Zauber sollen sie
An mir vorübergehn? Ach, dieses Herz!
Wenn es doch einmal noch erwarmen könnte!
Hat keine Schönheit einen Reiz mehr, der
Mich rührt? Ist sie entflohn, die Zeit der Liebe – ?
Heinrich von Kleist
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