Dienstag, 14. Mai 2013

Aar und Fuchs

»Ich dächt', Herr Fuchs, wir wären Beide,«
Sprach König Aar, »gemacht zur Nachbarschaft.
Er hat viel List, und ich viel Kraft!
Sieht Er, ich wohne
Da in der Krone,
Und Er hienieden
Im Loch in Frieden,
Und geht Er aus,
Vertrau Er mir nur
Auf meine Königstreu (und schwöret Königsschwur)
Sein kleines Haus!«

Glück zu, Herr Fuchs, zu hoher Nachbarschaft!
Er hat viel List, und Der viel Kraft.
Vertrau' er nur
Dem Schwur!
Der Fuchs ist nicht zu Haus;
Der König Aar hat keinen Schmaus.
»Wir sind von Gottes Gnaden
Zu Gast geladen
In Nachbar Fuchses Haus
Auf junge Füchselein
Und speisen ihm in Gnaden
Das Nest rein.«

Der Vater kommt. »Ach nein!
Das kann nicht sein!
Sein hoher Schwur! – Und doch,
Da frißt er noch!
Da liegt noch ihr Gebein!
O Jupiter! soll's ungerochen sein?«
Verwaister, harre noch!
Und nun erwach und sieh!
Da fährt er früh
Schon zum Altar
Des Donnergottes selbst, raubt Flammen
Und Fraß zusammen
Und bläht sich: »König Aar!«
Da weht
Ein Sturmwind hinter ihm. Sieh, Aar,
Dein Nest in Flammen!
Sieh Deine Brut
Versenkt, herabgeweht!
Es fäht
Sie Fuchses Rachen auf und kühlet seine Gluth
In junger Adler Blut.

Die Fabel, grausam, falsch und schlecht
Und sonder Zweifel übertrieben,
Ich fand sie alter Hand im neuen Buch geschrieben,
Das hieß das Land- und Kirchenrecht!
Das Buch war schön gedruckt,
Geschrieben war sie schlecht.


Johann Gottfried Herder

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