Der Dithyrambus und die kleine Aesopische Fabel scheinen zwo so verschiedene Dichtungsarten zu seyn, daß sie zwei ganz entgegengesetzte Genie’s zu erfordern scheinen: wenn jene in eine poetischen Trunkenheit enthusiastisch tobt, und mit den Mänaden über die Gebirge raset … so suchet diese, der gelassenen Natur in ihrer äußersten Simplizität zu folgen, und allezeit den kürzesten und geradesten Weg zu gehen. Wir wollen nicht behaupten, daß es nicht solche ausgebreitete Genie’s geben sollte, die mit gleichem Glücke sich in jede von diesen Verfassungen ätzen könnten: indessen scheint es, daß die letztere der Muse unsers Dichters doch weit natürlicher ist, als die erstere. Der Enthusiasmus seiner Dithyramben ist nicht selten erzwungen und studiret; er sucht öfteren den Strom, der seine Wort fortwälzen soll, dals daß er von demselben jähling ergriffen und fortgerissen wird. Unter seinen Fabeln sind verschiedene, deren Erfindung so gut ist, und die so leicht und ungekünstelt dialogirt sind, daß wir sie denen des Phädrus an die Seite setzen könnten. Der Charakter der handelnden Thiere ist meistens wohl ausgedrückt, die Sprache ist leicht, und die Lehre sinnlich und gut herbeigeführt: nur möchten wir zweifeln, ob diejenige Weise, die Personen gleich dialogisch einzuführen, allezeit wohl angebracht sei und durchgängig gefallen möchte, da der Ort der Szene zur Wahrscheinlichkeit viel beiträgt, und den Leser nicht selten auf eine angenehme Art vorbereitet. Wem wird z. B. bei der ersten Fabel nicht gleich einfallen, daß es eine seltsame Katze seyn müsse, die so viel mit der Maus komplimentiret, und nicht gerade zufährt, wenn jene nicht noch in ihren Löchern sitzt.
Johann Gottlieb Willamov (1736 - 1777)
aus: Dialogische Fabeln, S. 23 f.
Berlin, 1791
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