Dienstag, 1. Mai 2012

Der Greif und der Eisvogel


Allein, als das Meer anschwoll, entriß derselbe die jungen Eisvögel.
Da sagte das Weibchen:
- Ich habe es ja gleich von vorne herein gesagt, daß es so kommen werde.
Das Männchen aber entgegnete:
- Ich werde mich zu rächen wissen an dem Herrn des Meeres.
Darauf ging er zu einer Truppe von Vögeln und sprach zu ihnen:
- Ihr seyd meine Verwandte und Freunde, so stehet mir nun bei!
Diese fragten:
- Was willst du, daß wir thun sollen?
Der Seevogel erwiederte:
- Gehet mit mit insgesamt zu den übrigen Vögeln, daß wir ihnen klagen was von dem Herrn des Meeres geschehen ist, und wir wollen zu ihnen sagen: ihr seyd Vögel wie wir, drum steht uns bei.
Jene Truppe von Vögeln entgegnete:
- Siehe! Der Greif ist unser Beherrscher und König, darum gehe mit uns zu demselben, daß wir ihn um seine Hülfe anrufen, ihm klagen was dir von dem Herrn des Meeres begegnet und ihn bitten, Rache an demselben uns zu verschaffen durch die Macht seines ganzen Reiches.
Hierauf begaben sie sich zu dem Greif mit dem Eisvogel und ließen ihren Hülferuf ertönen. Der Greif zeigte sich ihnen alsbald, wo sie ihm dann ihre Geschichte erzählten und ihn ersuchten, mit ihnen zum Kampf gegen den Herrn des Meeres auszuziehen, was derselbige ihnen gleich zusagte. Wie aber der Herr des Meeres erfuhr, dass der Greif mit dem gesamten Reich der Vögel ihn bekriegen wolle, da wagte er es nicht sich in Kampf einzulassen mit einem ihm überlegenen König, gab dem Eisvogel seine Jungen zurück und schloß mit ihm Frieden, worauf der Greif sich zurückzog.

aus: Calla und Dimna oder die Fabeln Bidpai’s
Aus dem Arabischen von Philipp Wolff
Doctor der Philosophie Privatdozenten der orientalischen Literatur an der königl. Universität zu Tübingen, Mitglied der asiatischen Gesellschaft von Paris,
Erstes Bändchen, Stuttgart 1837, S. 87 f.

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