Donnerstag, 19. April 2012

Der Wolf


Ein Wolf, der ein eingebildeter Gesell war, und mit Thieren höheren Ranges Umgang haben wollte, wünschte bei einem Feste, das der Löwe gab, zu erscheinen; da man aber wußte, daß er Aas fresse und darum als von niederer Kaste angesehen wurde, so wollte er nicht in seinem eigenen Gewande erscheinen. Er schlich deshalb einigen Jägern nach, um sich des Fells eines vornehmen Thieres, das sie etwa erlegen möchten, zu bemächtigen, und hielt sich für sehr glücklich, als er ein Büffelfell erwischte.
Er zog alsbald diese Kleidung an, war, als er sich in einem benachbarten Bache betrachtete, ganz erfreut über seine Gestalt, stieß mit den Hörnern umher und machte manche lächerliche Sprünge. Als er es endlich für Zeit hielt, dem Könige der Thiere seine Aufwartung zu machen, begab er sich zu dem Festgelage. Als er den königlichen Wald betrat, erblickte ihn eine Meute Panther, die für den König jagten und augenblicklich riefen: was ist das? der Büffel gehört nicht zu uns; er ißt nicht an unserer Tafel!
Büffelfleisch aber, rief ein Anderer, ist nicht zu verachten, und wir erzeigen unserm Herrn einen Gefallen, wenn wir ihn damit versehen!
So fielen sie über den verkappten Wolf her und rissen ihn in Stücke.

Fabel der Hindus
aus: Lebensweisheit in Fabeln für die Jugend
Von Friedrich Hoffmann
Hofprediger in Ballenstedt
Stuttgart, 1840

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