Montag, 30. Mai 2011

Die Gans

Die Gans von Putlitz

Einst tadelte die Gans den Enten ihren Gang;
Pfuy! sprach sie, müßt ihr denn so unanständig hinken?
Was Henker, fehlt euch denn? Ihr seyd vielleichte krank,
Sonst würdet ihr wohl nicht zu ganzen STunden lang
Dem Tode mit dem Steisse winken;
Ihr saust euch, wie es scheint, nach Art der menschen, voll,
Und wetzt darnach durch alle Gassen;
Mir graut schon, wenn ichs sehen soll,
Man muß euch auch nur bloß des Ganges wegen hassen;
Ich bitte, was euch schimpft, das unterlasset doch!
Wenn meine Kinder also giengen:
So wollt ich, daß sie heut enoch
Beym Feuer an dem Spiesse hiengen;
Gotte ehre mir mein Volk! Von dem, wofern ihr wollt,
Lernt, wie ihr Fuß und Leib geschickt bewegen sollt,
Und ohne daß ihr euch so unanständig renket,
Und Kopf und Schweif bald Ost
bald wieder Westwerts schwenket.
Du rühmst dich ohne Grund, sprach eine Ente drauf,
Weil deine Kinder deine sind:
So bist du, als ein Narr, bey ihren Fehlern blind;
Betrachte doch einmal nur ihren Gang und Lauf!
Sie watscheln, wie du siehst, so sehr
Als unsre Kinder immermehr.
***
Ihr Eltern, seht hier euer Bild!
Was eure Tadelsucht an fremden Kindern schilt,
Das behaltet ihr an eurer Jugend,
Wie hier die dumme Gans, wohl gar für eine Tugend.
aus: Daniel Stoppe
Neue Fabeln
Erstes Buch
1745

Die Gans vom Putlitzer Preis

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