Samstag, 22. Juni 2019

Der Mond und die Affen


Lange nach der Erschaffung der Welt, aber noch viel länger zurück, von heute aus gesehen, lebte eine Affenherde in einem Wald, in dem es auf einer Lichtung einen tiefen Teich gab. Eines Nachts bemerkte der größte und stärkste Affe, dass der Mond inmitten des kleinen Teichs leuchtete. Er erschrak und rief alle seine Affenbrüder zusammen. Seht, rief er, der Mond ist in den Teich gefallen. Er wird versinken, wenn wir ihn nicht herausholen. Sie liefen aufgeregt am Ufer auf und ab oder schauten aus den Ästen der Bäume herunter auf den Mond im Teich, aber kein Arm war in der Lage, ihn zu erreichen. Lange sann der große und starke Affe, bis er eine Idee hatte. Wo ein Arm nicht langt, müssen es eben viele Arme sein, doch nicht nebeneinander, sondern in einer langen Reihe. So rief er alle Affen zu sich auf den Baum, fasste den Ast fest und ließ sich herunterhängen. Der nächste Affe kletterte an ihm herab, fasste den herunterhängenden Arm und ließ sich ebenfalls hängen. Wieder ein Affe folgte, und noch einer, und noch viele. Immer näher kam man der Wasseroberfläche und dem Mond, immer mehr aber bog sich auch der Ast und als der letzte Affe begann, an der langen Reihe seiner Brüder herunterzuklettern, konnte der Ast das Gewicht nicht mehr tragen, brach und alle Affen fielen in den Teich. Nicht wenige ertranken – unter ihnen auch der größte und stärkste Affe. Die wenigen Affen, die sich naß und klamm ans Ufer retten konnten sahen zu, wie sich die aufgewühlte Oberfläche des Teichs nach und nach glättete und der Mond sich wieder in der Oberfläche spiegelte.

Ein Fuchs, der alles beobachtet hatte, sagte: Wenn die Narren dem größten Narren folgen, ist Ihnen der Untergang gewiss.

Altibetische Fabel
Nacherzählt von Horst-Dieter Radke

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