Fabel von der Teetasse
»Du Anhängsel«, sagte die Teetasse zum Henkel, »bist mir lästig. Immer verhinderst Du, dass mich jemand richtig in die Hand nimmt. Jedes Mal bist du es, der angefasst wird.« »Sei doch froh«, sagte der Henkel, »dass du nicht immer befingert wirst. Ich wäre glücklich, wäre ich dich endlich los.«
Zwischen beiden knirschte das Porzellan und weil jeder daran arbeitete, sich von dem anderen zu lösen, fiel bei nächster Gelegenheit der Henkel ab. Er wurde in den Müll geworfen, wobei man die Tasse noch nützlich fand.
»Endlich«, schwärmte die Tasse, »endlich kann ich darauf hoffen, einmal richtig umfasst zu werden.«
Doch als die Frau, der die Tasse gehörte, sie am Abend in die Hand nahm, verbrannte sie sich die Finger, da der Tee noch heiß war. Sie ließ die Tasse fallen, die am Boden in tausend Scherben zersprang.
Horst-Dieter Radke