Montag, 13. November 2017

Die Wunderharfe

Auf zwei hohen Bergen lebten einst in grauer Vorzeit zwei Eremiten (Yathay), die das Abkommen getroffen hatten, sich Lichter zu zeigen, um sich gegenseitig Kunde von ihrem Leben zu geben. Eines Nachts konnte der eine Eremit kein Licht auf dem andern Berge bemerken, und er schloß daraus, daß sein Freund das Zeitliche gesegnet habe und in den Stand der Dämonen (Nats) übergegangen sei. Bald darauf erhielt er auch einen Besuch von dessen Gespenst, und da er sich über die wilden Elephanten beklagte, welche ihn vielfach belästigten, eine Harfe zum Geschenk, durch deren Spielen er je nach der Melodie die Elephanten herbeiziehen oder vertreiben könne.

Eines Tages hörte er in der Wildniß das Gejammer eines Kindes, und als er darauf zuging, fand er, trostlos auf einem Baume sitzend, eine Königin mit einem Säugling im Arme. Sich im Hofe ihres Palastes sonnend, war sie durch den herbeischwirrenden Riesenvogel aufgepackt und aus dem Kreise ihrer jammernden Ehrendamen fortgeführt worden, um ihm in seinem Neste zur Speise zu dienen.

Der Eremit verbarg sie in seiner Einsiedelei und vermählte sich mit ihr; den königlichen Sohn, Oudinath, adoptirte er, mit der Wunderharfe ihn beschenkend. Einst im Dunkel der Nacht sah der Eremit einen der glänzendsten Sterne am Himmel sich plötzlich verdüstern und erkannte daraus, daß der große König, der Oudinath seinen Ursprung gegeben, sein Leben geendet habe, und der Sohn, davon hörend, beschließt in sein väterliches Reich zurückzukehren. Auf hohem Elephanten thronend, begleitet von den sämmtlichen Elephanten des Waldes, langt er vor den Thoren der Hauptstadt an, die er verschlossen findet, und das ganze Volk in Trauer, da dem Lande ein Herrscher fehlt. Durch die Wahrzeichen eines Ringes und Gürtels, welche seine Mutter ihm mitgegeben, wurde er als der Erbprinz erkannt und von den Edelleuten auf den Thron gehoben.

Zu jener Zeit erfüllte die Tochter eines Pana (Brahmanen) mit dem Rufe ihrer Schönheit die Reiche der Erde, und aus allen Gegenden strömten Bewerber um ihre Hand herbei, aber Niemand fand Gnade vor ihren Augen. Der Vater begegnete einst Myatzoa-Phaya (Buddha), und überwältigt von dem göttlichen Glanz seiner Herrlichkeit, dachte er in ihm einen passenden Schwiegersohn zu finden. Er bat ihn, in einem Hause zu warten, da er seine Tochter herbeibringen wollte, aber als er zurückkam, war sein Gast fortgegangen und hatte nur den Abdruck seines Fußes zurückgelassen. Die in der Kenntniß der Beden (Vedas) wohl unterrichtete Tochter erkannte aus den Figuren, daß es die Fußsohle des Gottes sei, und wurde von unbezwinglicher Sehnsucht ergriffen, sich ihm zu vermählen. Seinen Spuren nachgehend, holte sie Myatzoa-Phaya ein, dieser aber wies ihre Liebe zurück, da er auf dem Wege nach Baranasi (Benares) war, um dort den Thron zu besteigen, und Überfluß an Frauen ihn schon erwartete. Die verschmähte Schöne traf im Walde mit Oudinath zusammen, und jetzt weniger wählerisch geworden, erlaubte sie ihm, sie als seine Königin sich zur Seite zu setzen.

Nun geschah es, daß ein benachbarter König, der Oudinaths Zauberinstrument zu besitzen suchte, auf eine List sann, ihn in seine Gewalt zu bekommen. Er läßt die große Figur eines weißen Elephanten aus Holz verfertigen und mit Soldaten gefüllt in den Wald stellen. Als Jäger an Oudinath berichten, ein Thier höchster Vollkommenheit gesehen zu haben, zieht dieser aus, um dasselbe zu fangen. Aber zum ersten Male versagen die Töne der Harfe ihren Dienst. Statt zu folgen entfernt sich der Elephant, und Oudinath, überrascht und verwundert, verfolgt ihn so eifrig auf seinem Pferde, daß er bald von seinem Jagdgefolge getrennt ist. An einer versteckten Stelle des Waldes springen die Soldaten aus dem Bauche des Elephanten hervor und führen Oudinath als Gefangenen zum König. Dieser verlangt die Mittheilung seiner magischen Geheimnisse, kann aber die hartnäckige Verschwiegenheit Oudinaths nicht besiegen, da selbst Todesandrohungen fruchtlos, blieben. Zuletzt erbietet er sich, als Bedingung der Freiheit, ein Sklavenmädchen darin zu unterrichten; der König aber substituirt seine eigene Tochter, die er hinter einen Vorhang stellt und ihr sagt, daß sie von einem weisen Manne unterrichtet werden würde, der aber körperlich ein abschreckendes Scheusal und aussätzig sei. Als während des Unterrichtes Oudinath sie ausschilt, weil sie nicht rascher begreife, schmäht sie auf ihn als einen Aussätzigen zurück. In der Lebhaftigkeit des Zankes wird der Vorhang beiseite geschoben, Beide erblicken sich und verlieben sich sterblich in einander aus Wahlverwandtschaft, da sie schon in einer frühern Existenz Gatte und Gattin gewesen. Sie entwerfen einen Plan und theilen dem Könige mit, daß zur Ausführung der Zauberceremonien Blätter eines fremden Baumes nöthig seien. Darnach ausgeschickt, entläuft die Prinzessin, welche die Wachen des Gefangenen fortgesendet hat, mit ihm nach seinem Reich, und sie wurde ihm als die erste Königin vermählt. Die dadurch eifersüchtige Brahmanin benützt eine Abwesenheit des Königs, um eine zwischen Blumen versteckte Schlange auf den Thron zu stellen und die Königin des Verraths zu beschuldigen. Die Minister, welche die hervorzüngelnde Schlange sehen, erkennen sie für schuldig, und die Brahmanin, der sie zur Hut übergeben ist, verbrennt sie in einem durch Teppiche verhängten Hofe des Palastes.

Als der König bei seiner Rückkehr davon hörte und den Zusammenhang der Sache erfuhr, gerieth er in den größten Zorn. Er läßt das ganze Geschlecht der Pona herbeiholen, sie auf einem Felde eingraben und dann ihre Köpfe abpflügen. Für die Ponatochter selbst aber wird die grausamste Strafe ausgesonnen. In dem obersten Gemache des Palastes eingeschlossen, wird ihr jeden Tag ein kleines Stück ihres Fleisches abgeschnitten, vor ihren Augen in ein Ragout gemischt und ihr zum Essen eingezwängt, um die Pein zu verlängern; aber während dieser ganzen Zeit betet die Ponatochter täglich zu Myatzoa-Phaya, den sie durch ein kleines Loch aus dem Dache ihres Gefängnisses über sich am Firmament umherwandeln sieht. Daß die Ponatochter, obwohl sie so eifrig Myatzoa-Phaya verehrte, diese schmerzliche Strafe ausdulden mußte, war die Folge einer in früherer Existenz begangenen Sünde. Als sie einst aus dem Bade hervorkam, und der Tag etwas kühl war, machte sie sich Feuer an im Walde. Durch die zurückgebliebenen Kohlen entstand nach ihrem Fortgehen ein Waldbrand, und ein heiliger Rochanda, der, in Meditation versunken, im Walde saß, wäre fast verbrannt, wenn er nicht, durch die Fähigkeit zu fliegen, in die Höhe gestiegen und entkommen wäre.Di

Bastian, Adolf
Erzählungen und Fabeln aus Hinterindien
In: Globus, Juli 1866, S. 82-83

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