Montag, 21. Dezember 2015

Der Geier und die Taube

Blutgierig rupfte einst ein Geier eine Taube,
Und sprach zu ihr:
»Du dummes Thier!
Du hassest mich: ich weiß es schon;
Dafür empfang‘ nun deinen Lohn!
Du bist und bleibest mein, und dienest mir zum Raube
Die Götter sind gerecht!« – »O möchten sie es seyn!«
Fällt drauf die Taube, zu dem Himmel blickend, ein. –
»Wie!« – ruft der Geier nun – »Tod und Verderben!
»Jetzt mußt du schonungslos, Verruchte! sterben;
Ich hätte dir aus Mitleid noch verzieh’n;
Nun winkt die Rache, Gottesläugnerin!«

Claris de Florian

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