Mittwoch, 6. Mai 2015

Der Leopard und das Eichhorn

Ein Eichhorn, das auf seiner Fahrt
Von Baum auf Baum zephyrisch hüpfte,
Verlor den Kopf, sein Fuß entschlüpfte,
Es fiel auf einen Leopard,
Der in dem Schatten einer Eiche
Der Ruhe pflegte. Der Gigant
Fuhr brüllend auf. Bereits halb Leiche
Vor Schrecken, fiel der Arrestant
Auf seine Kniee, bat um Gnade
Und machte sich gar winzig klein
Vor seiner Hoheit. „Arme Made!“
Rief dieser, den die Todespein
Des Zwergs zur Huld bewog, „Dein Leben
ist mein; ich schenke dirs; allein
Zuvor mußt du Bescheid mir geben,
Warum du stets so fröhlich bist,
Indeß mich, Prinzen vom Geblüte,
Der Uueberdruß und Mißmuth frißt?“ –
„Herr!“ sprach das Eichhorn, „Deine Güte
Macht Wahrheit mir zur Pflicht; doch hier
Spricht sichs nicht gut; ich quetschte mir
Bei meinem schweren Fall die Lunge;
Laß mich ins Freie.“ – “Nun, es sey,“
versetzt der Prinz, und gab es frei.
Das Eichhorn maß mit einem Sprunge
Den Baum, und sprach vom höchsten Ast:
„Du wolltest mein Geheimniß wissen;
Hier ists: Ein Gut, das du nicht hast,
Das deines Gleichen stets vermissen,
Erhält mein Herz bei heitrem Muth.“ –
„So nenne mir dies edle Gut.“ –
„Es heißt: ein ruhiges Gewissen.“

Gottlieb Konrad Pfeffel
Fabeln und poetische Erzählungen
Band 1

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