Freitag, 30. August 2013

Sengijn Erdene

Es gibt nicht viele mongolische Schriftsteller, von denen es deutsche Übersetzungen gibt. Einer der wenigen ist Sengijn Erdene (1929 - 2000). Er stammte aus einer Familie von Viehhütern, studierte in Ulan Bator Medizin, arbeitete als Psychiater und war Leiter des Schriftstellerverbandes. Von 1965 - 1979 war er Chefredakteur der Zeitung „Kunst und Literatur“. Seine beiden Erzählungen Die Frau des Jägers und Das Ende des Serüün-Tempels sind in der Übersetzung von Renate Bauwe erschienen.


Sonntag, 11. August 2013

Die Stimme des Adlers

Ein weiterer Film, der in der Mongolei spielt, ist »Die Stimme des Adlers«, des dänischen Dokumentarfilmers Rene Bo Hansen. Geschildert wird die Geschichte eines Jungen, der einen wertvollen Adler seines Vaters, einem Adlerjäger, entfliegen lässt. Er versucht, den Adler wieder einzufangen und gerät dabei in manche Abenteuer. Zuletzt folgt er seinem älteren Bruder in die Stadt. Wie die anderen Filme, die Geschichten aus der Mongolei erzählen, ist es ein über weite Strecken ein ruhiger Film, der keine Hektik und Action braucht, um das Interesse und die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu fesseln.


Donnerstag, 8. August 2013

Die verrätherische Trompete

(c) Claus Müller

Im Süden Indiens lebte ein reicher Mann, der einen sehr einfältigen Sohn hatte. Nach dem Tode seiner beiden Eltern gelangte dieser junge Mann in den Besitz eines ansehnlichen Vermögens und heiratete ein treffliches Weib. Weil er nun ohne allen Umgang lebte und sehr beschränkten Verstandes war, kam er gar nicht nach aussen, band nie seinen Gürtel um, kurz er verliess zu keiner Zeit sein Haus. Da waren einmal bei einer Gelegenheit aus irgend einer Gegend her zahlreiche Kaufleute dahin gekommen, mit welchen die Frau einen Handel abschloss. Nachdem diese Kaufleute abgezogen waren, legte die Frau an jener Stelle das Gefieder eines Greifs nieder. Darauf sprach sie zum Manne: »Zwar verstehst du nicht zu handeln; warum aber sollte, wenn du geschäftig aus- und eingiengest, sich nicht etwas erwerben lassen? ist ja der zu erwerbende Gewinn für den Mann ein offenes Feld! Womit sollen wir, wenn das vom Vater überkommene Vermögen erschöpft ist, unser Leben fristen? Geh hinaus und wende dich nach jener Stelle, wo die Kaufleute gewesen«. Als der Mann diesen Worten gemäss ausgegangen war, fand er die zwei Flügel des Greifs und nahm sie in grosser Freude mit sich nach Hause. »Deine Worte«, sprach er zu seiner Frau, »sind wahr gewesen; sieh, ich habe das mitgebracht! Von morgen an will ich auf den Handel ausgehen; gib mir nur den nöthigen Vorrath auf den Weg mit«. Die Frau dachte bei sich: »Auch ohne zu bitten, wäre ihm das gewährt worden«, gab ihm die nöthigen Lebensmittel, lud ihm auf einen Esel Reis auf und mit der Anweisung den Reis zu verkaufen machte sie ihn reisefertig. Des andern Tages in der Frühe sattelte er den Esel und ritt davon. Er erreichte den Strand eines grossen Meeres und gelangte dort zu einer steilen Felswand, welche einer Räuberbande zum Aufenthalte diente. Während er in der hintern Ecke einer Felsenhöhle für seinen Esel einen Platz fand, kletterte er selbst auf ein Felsstück am Eingang der Höhle empor und setzte sich da nieder, seine Mahlzeit zu verzehren. Während er so dasass, kam eine Schaar Kaufleute. Am Eingang der Felsengrotte stappelten sie ihre Waaren auf, in einem Winkel am Ende derselben lagerten sich die Kaufleute selbst, ihre Trompete aber legten sie aus Furcht vor den Räubern über dem Eingang der Felsenhöhle nieder. Weil nun der einfältige Mensch, als er seine Mahlzeit verzehrte, sich gewaltig angegessen hatte, und gegenüber seinem Hintern, der einen Wind fahren liess, gerade die Öffnung der Trompete zu liegen gekommen war, so gab die Trompete einen mächtigen Schall von sich. Die Kaufleute, in dem festen Glauben, die ganze Räuberbande sei angekommen, liessen ihre Waaren im Stich und machten sich in hastiger Flucht auf und davon. Als er des Morgens in der Frühe sich erhob und nirgends auch nur einen Menschen erblickte, lud er sämmtliche zurückgelassene Waaren auf und kehrte damit nach Hause zurück. Alle Leute betrachteten ihn mit Staunen und sprachen unter einander: »Ist der doch reich und mächtig geworden! indem er so viele Feinde besiegt, hat er eine reichliche Beute davon getragen!« Doch seine Frau dachte: »So viel wegzunehmen, dazu hätte er die Kraft nicht im geringsten; wahrscheinlich ist er durch irgend eine Windbeutelei dazu gekommen; durch eine List will ich es schon herausbringen«. Während sie noch so bei sich dachte, sprach der Mann: »Ich will jetzt auf die Jagd gehen«, worauf die Frau sagte: »Wenn du gehen willst, so gerath nur nicht in die Gesellschaft böser Menschen«. »Für mich«, versetzte er, »dürfte nicht leicht jemand unüberwindlich sein!« Die Frau sprach: »Bei weitem stärker als du ist der Held Sûrja-Bagatur; mit ihm nimmst du es nicht auf; der wird dich erschlagen«. Doch mit den Worten: »Vor dem habe ich keine Angst!« setzte er sich auf ein vortreffliches Pferd und ritt davon. Seine Frau bestieg inzwischen ein treffliches Ross, zog Mannskleider an. gürtete sich ein Schwert um, und ohne sich ihrem Manne zu zeigen, kam sie auf einem Umwege ihm zuvor. Kaum hatte er sie nach einiger Zeit auf einer grossen Ebene erblickt, so ergriff er, ohne seine Frau zu erkennen, vor ihr die Flucht; doch die Frau eilte ihm nach, erfasste ihn und, ohne einen Laut von sich zu geben, zog sie das Schwert, holte damit aus und jagte ihm einen gewaltigen Schreck ein. Bogen und Pfeile sammt Ross, von welchem er abstieg, überreichte er ihr. Die Frau kam von ihrem Pferde herabgestiegen, setzte sich rittlings auf ihren Mann, und begann, indem sie so auf ihm sass, ihn wie ein Pferd anzutreiben. »Ach«, flehte er wiederholt, »tödte mich nicht, Bogen und Pfeile sammt Ross nimm hin«. »Nun denn«, sprach sie, »so führe deinen Mund mir mitten zwischen die Schenkel, dann will ich dich frei lassen«. »Deinem Worte werd' ich nachkommen«, sagte er, und nachdem die Frau ihre Beinkleider aufgenommen und die Scham sich hatte küssen lassen, liess sie ihn frei. Nachdem die Frau seinen Bogen und die Pfeile umgenommen und auf das Pferd gestiegen war, sprach der Mann ganz traurig: »Du bist gewiss der Held Sûrja-Bagatur!« »Ich bin es in der That«, versetzte die Frau und ritt zurück. Spät nach ihr in der Nacht kam auch der Mann nach Hause. Die Frau fragte: »Wo sind Bogen und Pfeile und dein Ross?« »Heute«, antwortete er, »bin ich mit dem Helden Sûrja-Bagatur zusammengetroffen; weil ich bis zu Ende des Tages mit ihm mich schlagend meine Kraft erschöpfte, so hat er mir Bogen und Pfeile sammt Ross weggenommen«. Die Frau röstete hierauf Getreidekörner zum Essen und setzte sie ihm vor. »Du musst mir«, sagte sie, »ausführlich erzählen, wie ihr beide mit einander gerungen habt?« Als er sich satt gegessen, sprach er: »Ausgenommen dass er bartlos ist, sieht er deinem Vater gleich«. Und als ihn die Frau weiter fragte, fuhr er fort: »Dieser Sûrja-Bagatur ist ein Mensch mit zwei Hintern, am übrigen Körper aber sieht er einem Weibe ähnlich«. Da brach die Frau in Lachen aus.

Bei diesen Worten der Erzählung rief der mit Glück und Wohlstand gesegnete Chân: »So war also das offenbar ein Mensch, der nicht einmal Weib und Mann von einander unterscheiden konnte!« Und Siddhi-K ýr versetzte: »Sein Glück verscherzend hat der Chân seinem Munde Worte entschlüpfen lassen!« und mit dem Ausruf: »In der Welt bleibe ich nicht!« flog er durch die Lüfte davon.


Bernhard Jülg
Mongolische Märchen
Innsbruck, 1868

Dienstag, 6. August 2013

Das Wolfskind

Bildquelle: Wikipedia

Als diese Kaufleute in die Nähe der Residenz des Königs Kütschün-Tschidaktschi kamen und an einem Flussarm das Nachtlager aufgeschlagen hatten, nahten Wölfe und begannen zu heulen. Die Kaufleute pflegten das indische Wolfskind Schalû zu nennen. Daher fragten sie den Jungen: »Schalû, was sagen diese Wölfe?« »Diese Wölfe«, antwortete Schalû, »sind meine beiden Eltern; sie sagen: ›fünf oder sechs Frauen zogen des Weges und liessen dich, als du geboren wurdest, bei uns zurück; da haben wir dich aufgezogen und gross gemacht; ohne unserer Wohlthat zu gedenken, hast du nun mit Menschen dich befreundet? Diese Nacht kommt ein Regen und da der Fluss eine gewaltige Überschwemmung anrichtet, so werden die Kaufleute sich in Sicherheit zu bergen suchen; bei dieser Gelegenheit komm du, unser Liebling, wieder zurück. In der Nähe lauert dir ein Dieb auf‹«. Und in der That lag der Prinz Vikramâditja, in der Absicht einen Diebstahl auszuführen, in der Nähe auf der Lauer. Als er nun hörte, wie Schalû seinen Gefährten die Worte der Wölfe mittheilte, dachte er: »Dieser Kenner der Wolfssprache ist kein gewöhnlicher Mensch. Dass ein Regen kommt, mag eine Lüge sein; aber wie konnte er wissen, dass ich auf der Lauer liege?« Und indem er umkehrte, sagte er: »Dir werde ich alle Nacht aufpassen!« Nach dieser Drohung entfernte er sich. Die Kaufleute aber änderten in Folge von Schalû's Verständniss der im Wolfsgeheul enthaltenen Worte ihren Aufenthaltsort und liessen sich auf einem vierseitigen Berge nieder. Als in der Nacht der Regen in Strömen goss und der Fluss mächtig über die Ufer trat, sagten die Kaufleute zu einander: »Ohne Schalû hätten wir umkommen müssen!« und gaben dem Schalû Schätze in reichlicher Menge zur Belohnung.

aus:
Ardschi-Bordschi (Vikramâditjas Geburt)
enthalten in:
Bernhard Jülg: Mongolische Märchen. Innsbruck, 1868

Sonntag, 4. August 2013

Mongolische Sprache(n)

Von einer mongolischen Sprache kann man nicht sprechen. Es handelt sich um eine Sprachgruppe die in Asien über die Mongolei, China, Russland und sogar Afghanistan verteilt ist und aus etwa 15 Sprachfamilien besteht. Sie gehören mit den tungusischen und türkischen Sprachen zur altaischen Sprachfamilie. Das Mongolische (alle Dialekte zusammen) sprechen 5 bis 6 Millionen Menschen. Der Chalcha-Dialekt, der in der Mongolei gesprochen wird, hat mit 3 Millionen Sprechern die größte Verbreitung. Überliefert sind Frühformen (Altmongolisch) seit dem 12. Jahrhundert. Obwohl das Mongolische über eine eigene Schrifttradition verfügt, wird die Sprache heute mit dem russisch-kyrillischen Alphabet geschrieben. Das wurde 1941 auf sowjetischem Druck hin eingeführt, nachdem zuvor die Wiedereinführung der lateinischen Schrift, mit der man es schon um 1930 einmal für eine kurze Zeit versucht hatte, beschlossen wurde. Seit Mitte der achtziger Jahre wird die klassische Schrift der Mongolei wieder an den Schulen gelehrt und im Alltag für Logos und ähnlichem benutzt.

Galsan Tschinag, ein Schriftsteller aus dem Altai, der in deutscher Sprache schreibt, wurde bei einer Lesung in Bad Mergentheim gefragt, was ihm die deutsche Sprache bringe. Durch sie hätte er Struktur gelernt, antwortete er. In der mongolischen Sprache sei er freier, in ihr würden ihm Gedichte besser gelingen.

Wer sich aus Interesse, oder weil eine Reise in die Mongolei ansteht, mit der Sprache beschäftigen möchte, findet im Mongolisch-Kurs von Paul Metzler und Enkhzaya Eldevdorj eine guten Einstieg, der nichts voraussetzt. Es gibt sogar eine zugehörige Homepage, von der das Audio-Material zu diesem Kurs herunter geladen werden kann.


Wer nicht so sorgfältig einsteigen möchte, aber unterwegs ein wenig Kauderwelsch benutzen will, der findet im Mongolisch-Buch der Kauderwelsch-Reihe einen passenden Begleiter:


Dazu gibt es auch eine CD, die den Inhalt des Buches akustisch hörbar macht:


Über Youtube kann man sich auch eine nette Mongolisch-Lehrerin auf den eigenen PC oder Mac holen.



HDR



Samstag, 3. August 2013

Urna Chahartugchi - die Stimme aus der Mongolei

Urna Chahartugchi, die Hauptdarstellerin im Film »Das Lied von den zwei Pferden« ist auch auf zwei CDs zu hören. Zum Einstieg eignet sich ganz besonders die 2012 produzierte CD Portrait: The Magical Voice from Mogolia


Im ausführlichen, dreisprachigen (engl./dt./frz.) Booklet wird die Geschichte von Urna erzählt und die Liedtexte liegen in Übersetzungen vor.


Die Musikerin stammt aus einer mongolischen Nomadenfamilie, geht in die Stadt, um Musik zu studieren. Da Geld fehlt, übernimmt sie Kinderdienst bei Ihrer Lehrerin. Später folgt sie ihr nach Shanghai, lernt Mandarin und schafft es, an der Musikhochschule aufgenommen zu werden. Dieser Weg ist voller Mühen, wird von ihr aber bewältigt. Seither ist sie nicht nur auf den Konzertbühnen ihrer Heimat zu hören, sondern weltweit. Urna ist Nomadin geblieben, lebte in Kairo und Berlin und singt doch nur über ihre mongolische Heimat, die sie als bedroht ansieht.

Ihre erste CD erschien bereits im Jahr 2002:



Freitag, 2. August 2013

Der Fuchs, der Löwe und das Rind

Abermals folgte der auf gutem und glücklichem Wandel begriffene Chân hinter Siddhi-K ýr her und gelangte in die Nähe des Mango-Baumes. Als er mit seiner Axt, »weisser Mond« benannt, den Fuss des Baumes umzuhauen begann, sprach Siddhi-K ýr: »Fälle meinen Baum nicht«. Nachdem er aber herabgestiegen war, hielt er es in der Art und Weise sich aus dem Staube zu machen wie das erste Mal. Der Chân begab sich daher abermals in den kühlen Todtenhain, um Siddhi-K ýr zu holen. Während er dann mit ihm auf dem Rücken dahin wandelte, erzählte Siddhi-K ýr neuerdings folgende Geschichte.

Wieder einmal früh vor Zeiten hauste in Indiens Nordland auf dem Schneegebirge in einer Löwenhöhle eine Löwin. Nachdem sie eben ein Junges zur Welt gebracht hatte und nirgends etwas zu essen vorfand, war sie schon auf dem Punkte ihr Junges zu verzehren. Doch da sie es nicht über sich bringen konnte dasselbe zu opfern und zu verzehren, so machte sie sich auf, um in der Richtung zwischen einem Berge und der Ebene Nahrung zu suchen. Während nun die Rinder einer Heerde den Geruch der Löwin spürten und sich eiligst davon machten, war eine Kuh nicht geflohen. Die Löwin packte die arme Kuh, schlürfte ihr das Blut aus und schleppte Fleisch und Knochen mit sich fort. Das Kalb folgte ihr. Während die Löwin von dem Schlürfen des Blutes berauscht dalag, saugten ihr Junges und das Kalb zusammen an ihr. Weil sie berauscht war, hielt die Löwin alle beide für ihre Jungen und nährte sie. Nach einiger Zeit wurde die Löwin krank, indem ihr der Knochen eines wilden Thieres im Halse stecken geblieben war. Als sie dem Tode nahe war, gab sie ihren zwei Jungen in ihrem Testamente noch folgende Lehre: »Ihr beide sollt friedlich mit einander leben; wenn ein Feind naht und eure Kraft von ihm durch unrechte und schlechte Mittel zu gewinnen gesucht wird, so dürft ihr seinen Worten kein Gehör schenken«. Darauf starb die Mutter. Der junge Löwe begab sich hierauf in einen Wald, das Kalb aber auf die Sonnenseite eines Berges. Zur Zeit des Wassertrinkens tranken sie gemeinschaftlich und pflegten dann mit Spielen zusammen sich zu unterhalten. Nach einiger Zeit fasste ein Fuchs, der seither dem Löwen gefolgt und vom Fleische der von ihm erlegten Thiere zu leben gewohnt war, einstmals als Löwe und Rind wieder mit einander zur Tränke gegangen waren, während des Trinkens den Entschluss, die beiden zu reizen und zu entzweien, indem er bei sich dachte: »Von des Löwen Beute habe ich bisher allein gezehrt; da nun dieses Rind gekommen ist, so müssen wir künftig mit einander von derselben zehren«. In solchen die Aufreizung beider bezweckenden Worten liess er sich aus. Eines Tages hatte der Löwe ein Thier ergriffen und begann es zu zerfleischen. Während er das Blut schlürfend so dalag, trat der Fuchs, ohne das Fleisch des vom Löwen ergriffenen Thieres anzurühren, zum Löwen hinzu, und da er seinen Schweif einziehend und seine Ohren hängen lassend so dastund, sprach der Löwe: »Fuchs, was ist dir geschehen? letze dich doch an diesem Fleisch hier«. Der Fuchs erwiederte: »Wie könnte ich dieses Fleisch verzehren? du hast einen Feind; darüber grämt sich mir, deinem Oheim, das Herz«. Doch der Löwe versetzte: »Ich dürfte kaum einen Feind haben, verzehre das Fleisch nur ruhig«. Allein der Fuchs sprach: »Wenn du den Worten deines Oheims kein Gehör schenkst, so wirst du es später bereuen«, und legte sich nieder. »Nun, wer ist denn mein Feind?« fragte der Löwe. »Ein Rind dort muss es wohl sein«, sprach der Fuchs; »es sagt immer: ›der Löwe hat meine Mutter getödtet, jetzt will ich dafür den Löwen tödten‹«. »Wir beide sind ja zwei Brüder«, sagte der Löwe; »da ist für mich keine Gefahr«. Der Fuchs versetzte: »Weisst du denn nicht, dass du in Wahrheit die Mutter deines schlimmen Bruders getödtet hast?« Indem der Löwe bei sich dachte: »Die ser Fuchs ist ja doch wahrlich mein Oheim«, begann er weiter: »Wie will denn das Rind mich tödten? sag' es mir doch«, worauf der Fuchs antwortete: »Wenn morgen früh das Rind aufsteht und mit den Hörnern die Erde aufwühlt, sich ausstreckt, den Schwanz hängen lässt und in einem fort brüllt, so ist dies das Zeichen, dass es dich tödten will«. Der Löwe, Argwohn fassend, sprach: »Nun, wenn das der Fall ist, so werde ich auf der Hut sein«.

Darauf begab sich der Fuchs auch auf des Berges Sonnenseite und trat zu dem Rinde, das sich eben gelagert hatte, nachdem es am Grase sich gesättigt. Indem er den Schweif einziehend, die Ohren hängen lassend und weinend vor ihm stand, sagte das Rind: »Fuchs, was ist dir geschehen?« »Mein Mütterchen«, sprach der Fuchs, »weil du einen Feind hast, desshalb gräme ich, dein Oheim, mich so und muss weinen«. Doch das Rind sprach: »Ich habe durchaus keinen Feind, der mir etwas anhaben könnte«, worauf der Fuchs versetzte: »Auf des Berges Rückseite haust ein Löwe; der sagt: ›früher hat meine Mutter seine Mutter zerfleischt, jetzt will ich ihn zerfleischen‹«. »Da sei du nur ganz ruhig«, erwiederte das Rind, »wir beide sind zwei Brüder; er wird gegen mich keine Feindseligkeit beginnen«. Allein der Fuchs sprach: »Wenn du jetzt meinen Worten kein Gehör schenkst, so wirst du es später bereuen«. »Du bist doch wahrlich mein Oheim«, versetzte das Rind; »nun, wenn die Sache so steht, wie will denn der Löwe mich tödten? sag' es mir doch«. Da sprach der Fuchs: »Wenn morgen früh der Löwe aufsteht und sich ausreckt, seine Mähnen emporschüttelt, seine Klauen ausstreckt und mit den Füssen die Erde in einem fort aufwühlt, so ist dies das Zeichen, dass er dich tödten will«. »Wenn das so ist«, sprach das Rind, »so will ich auf der Hut sein«.

Den andern Tag in der Frühe, als sie aufstunden und einander beobachteten, da zeigte sich alles so, wie der Fuchs es gesagt. In Folge dessen erhob sich in beiden der Groll, und als sie um Sonnenaufgang beide zu gleicher Zeit eintreffend Wasser zu trinken gekommen waren, liessen sie, weil jedes von beiden beim Aufstehen seine besondere Art hatte und eines des andern Gewohnheit nicht kannte, von den aufreizenden Worten des Fuchses sich hinreissen. Da machte der Löwe mit voller Wucht einen Satz und packte das Rind am Hals, das Rind dagegen fuhr gleichzeitig mit seinen Hörnern dem Löwen zwischen die Füsse empor. Auf diese Weise giengen alle beide, der Löwe und das Rind, zu Grunde. Bei dieser Gelegenheit liess sich eine geheimnissvolle Stimme vom Himmel vernehmen: »Man darf nie schlechten Freunden trauen; sehet, wie der Fuchs, als der Löwe und das Rind dem schlechten Freunde trauten, sie beide entzweit hat!«

»So hat also der böse Fuchs zwei theure Brüder entzweit!« rief bei diesen Worten der Erzählung der mit Glück und Wohlstand gesegnete Chân, und Siddhi-K ýr versetzte: »Sein Glück verscherzend sind dem Munde des Chânes Worte entschlüpft!« und mit dem Ausruf: »In der Welt bleibe ich nicht!« flog er durch die Lüfte davon.



Bernhard Jülg: Mongolische Märchen
Innsbruck, 1868, S. 35-40

Donnerstag, 1. August 2013

Fabelhafte Filme aus der Mongolei

Die Höhle des gelben Hundes



Die Geschichte könnte auch bei uns passieren: Kind bringt einen herrenlosen Hund mit nach Hause, den es beim Spielen gefunden hat. Vater sagt Nein. Die daraus resultierenden Konflikte taugen für unzählige Geschichten. In diesem Film erzählt die aus der Mongolei stammende Regisseurin Byambasuren Davaa dieses Thema mit einer mongolischen Familie, die noch fernab von der Zivilisation in einer Jurte lebt. Damit die Kinder eine Schulbildung bekommen, müssen Sie in die Stadt, was die Trennung von der Familie bedeutet. Der Film beginnt damit, dass Nansaa, die älteste Tochter in den Ferien nach Hause kommt. Sie findet beim Dung sammeln einen Hund, den sie Zochor nennt. Der Vater, der gerade zwei Schafe durch Wölfe verloren hat, ist strikt dagegen, weil er fürchtet, dass der Hund mit Wölfen zusammen gelebt haben könnte. Er würde dann die Wölfe zu ihnen locken, meint er.

Der Film wird ganz unaufgeregt erzählt. Alle Darsteller sind Laien und spielen sich selbst. Ein Drehbuch gab es nicht, als der Film gemacht wurde. Er ist auch nicht synchronisiert, was aber alles andere als störend ist. Die Texte lassen sich gut mitlesen und der Klang der mongolischen Sprache gibt dem Film noch ein bisschen mehr an Authentizität. Die Handlung läuft ruhig ab, ohne große Aufregung. Lediglich ganz zum Schluss kommt ein wenig Dynamik hinein, als der Vater das jüngste Kind sucht. Viel spannender ist aber zu sehen, wie in der mongolischen Familie miteinander umgegangen wird. Die Ernsthaftigkeit, mit der die Erwachsenen auf die Kinder eingehen, auch der natürliche Humor, der untereinander gepflegt wird, sind bewundernswert.

Byambasuren Davaa wurde 1971 in der Mongolei geboren und studierte dort an der Hochschule für Filmkunst in Ulaanbaatar. Im Jahr 2000 kam sie nach Deutschland, um an der Hochschule für Fernsehen und Film in München zu studieren. Schon der Vordiplomfilm »Die Geschichte vom weinenden Kamel« (2003) wurde ein Erfolg. »Die Höhle des gelben Hundes« wurde dann ihr Diplomfilm (2005).


»Die Geschichte  vom weinenden Kamel« erzählt ebenfalls von einer Nomadenfamilie aus der Wüste Gobi. Ein weißes Kamelbaby wird von der Mutter verstoßen. Erst durch einen Musiker mit der Pferdekopfgeige kann die Kamelmutter dazu bewegt werden, ihr junges doch anzunehmen. Kritiker sprechen von einer »märchenhaften Geschichte« wohl mit Blick auf das Ritual, das der Musiker zelebriert. Dabei übersehen sie aber, dass das Augenmerk der Regisseurin auf ganz anderen Aspekten gerichtet ist.




Beide Filme zeigen die Menschen in der mongolischen Weite und deren Konfrontation mit der Zivilisation. Im zweiten Film kommt dieses Element verhaltener, wirkt dafür aber m.E. viel eindringlicher. Der Vater überlegt, ob er in der Stadt einen Job im Kaufhaus sucht, um während der Schulzeit in der Nähe der Tochter (später auch der anderen Kinder) bleiben zu können. Der Lohn ist zu niedrig, sagt die Mutter. Davon können wir ja nicht leben. Wovon die Familie lebt, zeigt der Film in den alltäglichen Handlungen. Beide Filme wurden ausgezeichnet, etwa mit dem Bayerischen Filmpreis (Kamel, 2003), Förderpreis Deutscher Film (2005, Höhle) und dem Deutschen Filmpreis (2006, bester Kinder- und Jugendfilm für die Höhle). »Die Geschichte vom weinenden Kamel« wurde 2005 sogar in der Sparte Dokumentarfilm für einen Oscar nominiert.

Im Jahr 2009 folgte der Kinofilm »Das Lied von den zwei Pferden«, in dem das Problem des Verlustes kultureller Traditionen weiter geführt wird. Es ist auch ein Film über mongolische Musik.