Mittwoch, 31. Juli 2013

Der Habicht und die Taube

Der Habicht war krank geworden. – „Es ist die Strafe meiner Sünden!“ – sprach er: – „Von nun an sey Friede zwischen mir und allen Vögeln!“ – Kaum hat er es gesagt, so flatterte eine Taube bei ihm vorbei. – “Nur diese noch!“ – sprach er: und erwürgte sie.
Der ewige Friede!

Christian August Fischer

Donnerstag, 25. Juli 2013

Die Nachtigall, der Habicht, der Vogelsteller

Die neunzehnte Fabel

Ein Habicht lauft‘ im Nest der Nachtigall
Auf einen Hasen, und fand Junge drinnen.
Die Mutter kam voll Angst bey der Gefahr der Brut
Herbeygeflogen, und fleht‘ ihrer doch zu schonen.
Dein Wille soll geschehen, sprach der Habicht,
Wenn du mir willst ein schönes Liedchen trillern.
Die Lust verging ihr – doch sie sang, aus Furchte
Gezwungen und betrübnißvoll. Du hast
Nicht gut gesungen, sprach der Habicht, und ergriff
Ein Junges mit den Klauen, und verschlang es.
Indessen kam von hinterher ein Vogelsteller,
Berührt ihn unbemerkt mit seinem Leimrohr
Und zog den Bösewicht herunter auf die Erde.

Wer einen Andern zu berücken trachtet,
Hat sich zu fürchten, auch berückt zu werden.

Phäders Aesopische Fabeln,
deutsch, in Reimfreyen Jamben,
übersetzt Breslau, bey Will. Gottl. Korn, 1785

Mittwoch, 24. Juli 2013

Der welsche Hahn, der Habicht und der Adler


Man diene, wem man kann, doch nicht um reich zu werden.
Dann nichts ist kärglicher, als die Erkenntlichkeit.
Es ging ein welscher Hahn, in stolzer Sicherheit,
Aus seinem Hof ins Feld, und musterte die Herden.
Ein Habicht, welchem nur der Adler schrecklich war,
An Fängen stark, schlau wie ein Hasengeyer,
Schoß auf den Hahn herab, und, durch ein Abenteuer,
Entriß ein Adler ihn der plötzlichen Gefahr.
Damit ich, sprach der Hahn, nicht dankvergessen scheine,
Sing ich dein Lob: ich singe meisterlich.
Auch hab ich ein Geschenk für dich.
Ich gebe gern. Was? Meiner Federn eine.

Es drohte Spanien Alphonsens‘ Thron den Fall,
Doch Englands zweiter Carl beschützte Portugall.
Für den zu schwachen König stritten
Die unerschrockenen freien Britten,
Und siegten, so wie sonst, auch bey Amerial.
Alphonsus lobt den Heldenmut der scharen,
Durch deren Arm sein Reich bestand;
Doch macht er seinen Dank auch durch Geschenke kund.
Die königlichen Gaben wären,
Für jede Compagnie, an Schnupftabak, drye Pfund.

Friedrich von Hagedorn
Versuch in Poetischen Fabeln und Erzählungen
Leipzig bey Bernh. Christ. Breitkopf
ca. 1739
unberechtigter Nachdruck

Sonntag, 21. Juli 2013

Der Vogelsteller, der Habicht und die Lerche

Oft dient uns Unrecht, dem die Bösen huldigen,
Die eignen Übeltaten zu entschuldigen.
Dies aber ist der Welt Gesetz und Brauch:
Willst du geschont sein, schone andre auch.

Ein Landmann fing mit seinen Netzen Vögelein.
Er lockte eine Lerche an. Ein Habicht fuhr
Von Himmelshöhe nieder auf die Flur,
Ein schneller Stoß, die Sängerin war sein;
Noch eh sie in der bösen Falle,
Spürt sie des Habichts scharfe Kralle.
Er will sie rupfen und sich niedersetzen,
Da fängt er selbst sich in den Netzen.
In seiner Sprache flehte er den Landmann an:
»Laß mich, ich hab dir nie etwas zuleid getan!«
Der Vogelsteller drauf: »Was aber tat denn dir
Zuleide dieses kleine Tier?«

Jean de Lafontaine
Berlin 1923

Montag, 15. Juli 2013

Der todkranke Habicht und die leichtgläubigen Tauben

Ein Habicht lag in letzten Zügen,
Und rief, es geht mir herzlich nah,
Daß ich die Tauben zu betrügen,
Im Leben stets nach Mitteln sah;
Drum such ich ihnen abzubitten
Was sie bisher von mir erlitten.

Die Tauben wurden ehr gebeten;
Es kamen ihrer auch ein Paar.
Doch als sie, sicher vor Gefahr,
Dem Kranken allzu nah getreten,
Ihn, zur Versöhnung, selbst zu küssen,
Da hat er sie noch todt gebissen.

***

Lernt klüger sein, ihr albern Tauben,
Und send in Zukunft nicht os blind,
Merkt, daß den Feinden nicht zu glauben,
So lange sie am Leben sind.


Daniel Wilhelm Triller

Samstag, 13. Juli 2013

Die V. Fabel/Von der Nachtigall und Habicht


Welche anderen Feindschaft tragen / und ihnen hässlich nachstellen / die bedörffen daß sie sich selber auch besorgen / daß ihre Bosheit nicht fürkommen würd / als hie geschehen ist.

Ein Habicht saß in einer Nachtigallen Nest / und beschattete das Wetter / und fand allda junge Nachtigallen. Bald käme die Alte / und bat den Habicht / daß er ihr die Jungen wollte lassen. Der Habicht antwortete: Ich will Thun / was du wilt / wann du mir schön singest. Wiewohl nun der Nachtigalle Herzt / vor Sorg und Angst umb ihre Jungen sehr betrübt biß in den Tod / doch zwar sie die Liebe ihrer Jungen / zu singen. Da sprach der Habicht: Du hast nicht wol gesungen / un nam eines von den jungen / un hub an zu essen. In dem kam ein Vogler zwerchs Weges gegangen / und lockte mit dem Pfeifflein / und reizte mit der Wicken / und stecket die Klebrüthlein / derer eines nahm der Habicht / und verwickelte sich darein / daß er damit zu der Erden fiele / und wiewohl er die andern hatte beschädigt / so war er doch nicht so behänd / und wurde also selber gefangen.

Dann welcher hütet / und meinet er hab wol gehütet / wird offt selbst gefangen.


aus:
Asopus:
Das ist
Das ganze Leben und Fabeln Esopi:
Samt einem Anhang der Fabeln
Aniani/Adelfonsi/un etlicher Schimpff-Reden Pogij:
Auch Auszügen schöner Fabeln und Exempeln
D. Sebastian Brands.
Alles mit schönen Figuren zu dbesserer Einbildung in Druck gegeben
Zu Basel/Anno 1676

Dienstag, 9. Juli 2013

Die Freundschafft der Kazen und Ratten

Die Kazen und Ratten lebten sonst in großer Feindschafft, und von beyden Seiten sezte es manchen gefährlichen Tanz. Murner der Alte that endlich Vergleichs-Vorschäge: die Ratten sollten den Kazen den Mäusefang frey lassen, und diese sollten jene nicht auf den Malzböden stören. Sie wurden billig befunden, und durch die Speckmäuse als erbetene Garants feyerlich puliciret. Sultan hörte an einem Riz den Tractaten mit zu: Ist es doch, sprach er und leckte seinen Schnurbart, als wann ich meinen gnädigen Herrn, Zevs tröste ihn! den Cammer-Rath mit seinen Amtleuten wieder reden hörte.

Friedrich Karl von Moser

Freitag, 5. Juli 2013

Der Sperling und die Nachtigall


Ein Sperling sprach zu einer Nachtigall:
Der Storch ist doch ein großer Reiser!
Er reist in alle Welt, ist, sagt er, überall
Umher gewesen; ob er weiser
Geworden ist? Ich zweifle dran.

Die Nachtigall hört alle an,
Sagt nichts; allein, man las in ihrem Blick,
Daß sie nicht eben viel vom Afterreden halte –
Sie flog in ihren Wald zurück,
Und sang, daß Berg und Thal erschallte!

Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Ausgewählte Werke, Leipzig 1885

Dienstag, 2. Juli 2013

Die sechs Falken oder der gebrochene Flügel


Sechs junge Falken, von denen nur Midschidschiquona, der älteste, etwas fliegen konnte, hatte der plötzliche Tod ihrer Eltern unversorgt und nahrungslos gelassen. Lange hatten sie auf deren Rückkehr vergeblich gehofft, und die jüngeren hatten sich schon mit dem Gedanken des Hungertodes vertraut gemacht, als sich Midschidschiquona entschloß, die anderen, so gut er eben vermochte, mit Futter zu versehen. Eine Zeitlang ging dies auch recht nett, bis endlich auch er ausblieb.

Nun fühlten sich die anderen erst recht unglücklich, denn der Winter war vor der Tür, und ihre Flügel waren noch zu schwach, um sie in eine wärmere Gegend zu tragen. Doch faßten einige Mut und flogen aus, ihren verunglückten Bruder zu suchen.


Bald fanden sie ihn auch; er hatte sich im Kampf mit einem anderen Raubvogel den rechten Flügel gebrochen. »Brüder«, stöhnte er, »mir ist's schlecht ergangen; aber kümmert euch nicht weiter um mich, und laßt euch nicht durch mich abhalten, der rauhen Zeit zu entfliehen.«


»Nein, nein!« schrien sie alle. »Wir verlassen dich nicht, sondern bleiben hier, um deine Leiden zu teilen und für dich zu sorgen, wie du ehemals für uns sorgtest. Wenn dich der Winter tötet, mag er uns auch töten; doch solange du lebst, bleiben wir bei dir.«
Darauf trugen sie den Kranken in einen hohlen Baum, und drei blieben ständig zu seiner Pflege und Wartung um ihn herum, während die anderen zwei ausflogen und Futter suchten.


Midschidschiquona genas bald und gab seinen Brüdern allerlei erprobte Lehren hinsichtlich der Jagd, was diese befähigte, den ganzen Winter hindurch den Hunger fernzuhalten.
Der Frühling erschien, und die Jagd wurde ergiebiger; doch Pipidschiwisäns, der jüngste Falke, der gerade nicht der klügste und stärkste war, brachte nie etwas nach Hause, trotzdem er täglich am längsten weg war. Da fragte ihn einst Midschidschiquona nach der Ursache seines ständigen Unglücks.


»Es ist weder meine Schwachheit noch meine kleine Gestalt daran schuld«, erwiderte er, »denn ich töte stets so viele Enten und sonstige Vögel wie ein anderer; aber wenn ich mit ihnen heimfliegen will, so stürzt jedesmal eine mächtige Kokokoho (Eule) auf mich los und nimmt mir meine Beute wieder ab.«


Midschidschiquona flog daher am anderen Tag mit ihm und verbarg sich in der Nähe des Ufers. Pipidschiwisäns fing bald eine Ente, und gleich darauf erschien auch die große Eule, um sie ihm wieder abzunehmen. Schnell stürzte nun Midschidschiquona aus seinem Dickicht, packte sie mit seinen scharfen Krallen und trug sie nach Hause.


Der Kleine flog nebenher und versuchte ihr die Augen auszuhacken.


»Tu das nicht, Bruder«, sagte Midschidschiquona, »denn es ist Unrecht, einen hilflosen Feind zu verstümmeln und ihn zu lehren, gegen Schwächere grausam zu sein.«
Darauf ließ er die Eule wieder fliegen.


Die sechs Falken lebten noch lange Jahre beisammen, und die alten Mediziner, die diese Fabel erzählt haben, wollen ihren roten Landsleuten damit beweisen, daß Einigkeit und Bruderliebe jede Not des Lebens besiegen.

Knortz, Karl
 Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas