Sonntag, 21. April 2013

Krieger, Barde und Taugenichts (3)



Gramgebeugt war der Baron, als er dies vernahm. Hatte er doch nun alle seine Söhne verloren. Und voller Entsetzen war der König, denn es waren nun nur noch drei Monate Zeit von der Jahresfrist verblieben.
Da trat aus dem Dunkel einer Ecke des Thronsaals ein Pferdeknecht hervor und kniete vor dem König nieder. Jung war er und hübsch, und seine Hände zitterten, als er sprach: »So erlaubt, edle Herren, daß ich losziehe, meine Brüder und die Prinzessin zu retten.« Solcherart waren seine Worte.
Da erst erkannte der Baron seinen jüngsten Sohn, der all die Zeit am Hofe des Königs als Knecht gedient hatte. Und Tränen standen in seinen Augen, als er ihn umarmte. Um keinen Preis wollte er ihn ziehen lassen, nun, da er ihn wieder gefunden hatte.
Der Jüngling jedoch senkte bescheiden den Kopf. »Eure Liebe war alles, was mir fehlte, mein Vater. Und gar sehr freue ich mich, daß Ihr mich wieder in Eurem Herzen aufnehmt. Doch nun laßt mich ziehen, denn es sind meine Brüder, und es ist meine Pflicht gegenüber dem König.«
Und da mußte der Vater ihn wohl oder übel ziehen lassen.
Mit Pferd, Schwert und Harfe zog der Jüngling los, und knapp vor Ablauf der Jahresfrist erreichte er das kleine Dorf am Waldesrand. Gar artig fragte er nach dem Weg, und so wies man ihn zu der alten Vettel im Wald und warnte ihn auch eilends vor ihr. Hielt man sie doch für eine Hexe.
»Zwei Weiden und eine Erle, die standen am Sumpf. Die Erle wurde größer, die Weiden verfaulten am Stumpf«, hörte er schon von weitem ihren Gesang, als er in den Wald hineinritt und hielt schnurstracks auf die alte Frau zu. Als er jedoch sah, wie schwer sie an ihren Eimern zu schleppen hatte, sprang er vom Pferd und eilte zu ihr, um ihr die Last abzunehmen. Und gar mitleidig bot er ihr den Rücken seines Pferdes an, damit sie nicht laufen müsse.
So geleitete er sie zu ihrer Hütte und brachte ihr das Wasser in die Küche. Es dunkelte schon, und die Hexe lud ihn ein zu bleiben. Schon bald saßen sie am Feuer und erzählten miteinander, und der Jüngling fragte das alte Mütterchen, warum sie jeden Tag einen solch beschwerlichen Weg auf sich nehme, um Wasser zu holen.
Da klagte ihm die Alte gar bitterlich ihr Leid, von der Quelle, die ihren Lauf geändert, so daß das Bächlein, das aus ihr entspringt, nun Stunden von ihrem Haus entfernt verliefe. Wiewohl doch nur einer in die Höhle am Berg klettern müsse, um den Stein dort zu entfernen, damit das Bächlein wieder seinen alten Lauf nehme, direkt an ihrem Hause vorbei.
Mitfühlend lauschte der Jüngling ihren Worten und schließlich konnte er nicht anders, als ihr helfen, obschon die Zeit bis zur Jahresfrist recht knapp bemessen war. So ritt er zum Berg und kletterte in die Höhle hinein auf der Suche nach dem Stein. Und als er diesen löste, blendete ein Licht seine Augen und Wasser sprudelte hervor und lief über seine Füße.
Als er schließlich die Augen wieder öffnete, stand eine durchscheinende Gestalt vor ihm, die mit der Stimme der alten Frau zu ihm sprach: »Habt Dank, daß Ihr den Fluch von mir genommen habt. Grausam war ich den Menschen gegenüber, so mußte ich jemanden finden, der aus Mitgefühl mir zu helfen bereit war und meinen wahren Geist aus der Quelle entließ. Drei Wünsche seien Euch deshalb gewährt. Doch wählt gut und entscheidet weise!«
»Ach«, seufzte der Jüngling eingedenk seiner knappen Zeit. »Ich wünsch mir nur, daß ich rechtzeitig vor Jahresfrist, die Burg erreichen würde, wo meine Brüder und die Prinzessin gefangen gehalten werden.«
»So sei es«, antwortete die Fee und verschwand, während der Jüngling augenblicklich in tiefen Schlaf versank.
Als er wieder erwachte, stand er mit seinem Pferd direkt vor den Toren der Burg, und es war der letzte Tag vor Ende der Jahresfrist. So erfüllte sich des Jünglings erster Wunsch.
Bereitwillig gewährte man ihm Eintritt, und der dunkle Herrscher lachte, als er den schlanken Jüngling sah, der als letzter gekommen war, ihn herauszufordern.
»So wollt auch Ihr mich fordern«, fragte er.
Der Jüngling nickte und erwiderte seinen Blick. »Wie von Euch gewünscht, fordere ich Euch vor Ablauf der Jahresfrist zum Zweikampf«, sagte er. »Sollt´ ich also gewinnen, so gebt meine Brüder und die Prinzessin frei. So ich aber verliere, gehört mein Leben Euch.«
»So werdet Ihr mein Sklave sein, wenn Ihr den Kampf verliert«, stimmte der dunkle Herrscher wohlgemut zu.
Und der Jüngling nickte stumm und ergeben, denn er sah seinen ältesten Bruder, beschwert mit Ketten, wie er Steine trug, und er sah seinen zweiten Bruder voller Schlamm und Dreck im Schweinestall der Burg.
Seines Sieges sicher baute sich der dunkle Herrscher vor ihm auf. Da zog der Jüngling sein Schwert, und ein Stoßseufzer kam über seine Lippen. »Ach, wenn ich doch nur diesen einen Kampf gewinnen könnte, damit meine Brüder und die Prinzessin frei würden.«
Dann klirrten die Waffen. Nur ein einziges Mal trafen ihrer beider Schwerter aufeinander, da geschah es, daß der Usurpator sein Schwert verlor, so daß der Jüngling das seine dem Gegner zum Zeichen des Sieges an den Hals setzen konnte. So erfüllte sich der zweite Wunsch des Jünglings.
Besiegt senkte der dunkle Herrscher den Kopf. »Was immer Ihr wünscht, es soll Euer sein«, knirschte er wütend. Aber bei sich dachte er: »Wenn er die Freigabe seiner Brüder und der Prinzessin wünscht, so soll er ihre toten Körper haben. Denn niemand wird mich besiegen!«
Der Jüngling jedoch dachte daran, wie seine Brüder betrogen worden waren und daran, wie sein Vater ihn verstoßen hatte, und senkte sein Schwert. »Ach«, sagte er dann, »das, was ich mir am meisten wünsche, könnt Ihr mir nicht geben. Denn ich wünscht´ mir nur, daß alle Menschen unserer beider Lande ehrlich zueinander sind und sich liebten und gegenseitig respektierten.«
Und so geschah es, daß der dritte und letzte Wunsch des Jünglings in Erfüllung ging.
Denn wie verwandelt erhob der dunkle Herrscher sich wieder und klopfte dem Jüngling auf die Schulter. »Seid mein Gast«, sagte er. Und sofort ließ er die beiden älteren Brüder befreien und waschen und neu einkleiden. Auch die Prinzessin ließ er rufen, und er veranstaltete ein großes Fest, bevor er die drei Brüder und die Prinzessin endlich ziehen ließ.

Groß war die Freude am Hofe, als die vier dort eintrafen. Hatte doch jeder schon das Land in der Hand des Feindes gewähnt. Der jedoch verhieß nun Frieden, und solange er lebte, stand er dem kleinen Königreich tapfer und treu zur Seite. Gute Zeiten sollten für das kleine Land anbrechen.
Der König schließlich war höchst erfreut über seinen wohlgeratenen und tapferen Schwiegersohn und richtete alsbald die Hochzeit aus, wiewohl seine Tochter den jungen Mann gar über alle Maßen liebte. Schon bei der Hochzeit dankte der alte König ab und überließ die Geschicke des Landes dem jungen Paar. Und der Jüngling ward der beste König, den das Land je hatte, denn er regierte mit Mitgefühl und Ehrlichkeit und hatte für jeden ein offenes Ohr. Sein ältester Bruder aber wurde zu seinem Leibgardist und der zweitälteste zu seinem Barden. Und gar oft lauschte der junge König dem alten König, und seiner Frau, der Prinzessin, sowie seinem Vater, dem Baron, um sich gute Ratschläge bei ihnen zu holen.
Denn um ein guter König zu sein, bedarf es nicht des Könnens eines Kriegers oder der glatten Zunge eines Barden - nur der Weisheit und Güte bedarf es, und über die verfügte der jüngste Sohn des Barons über alle Maßen.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute...

Petra E. Joerns

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