Montag, 13. August 2012

Der Fuchs, der Spürhund und der Luchs

An meine Zöglinge.
Vor des Chroniden Thron erschienen
Der Fuchs, der Spürhund und der Luchs.
Sie baten ihn mit demuthsvollen Mienen
Um ein Gehör. Der Redner war der Fuchs:
Wir kennen, Herr, den Werth der hohen Gaben,
Die wir von deiner Huld empfangen haben;
Kein Adler hat den Blick, den sie dem Luchs verlieh;
Der Spürhund riecht das Wild auf viele hundert Schritte,
Und mich erhobst du zum Genie:
Indessen würden wir, und dieß ist unsre Bitte,
Doch alle drey noch weit vollkommner seyn,
Wenn jeden unter uns auch die Talente zierten,
Die du den andern gabst. Den Vorschlag geh ich ein,
Erwiederte Herr Zeus den Alliirten;
Doch will des Schicksals ernster Schluß,
Daß jeder seinem Freund von seinem eignen Pfunde
Ein gleiches Maas ersetzen muß,
Als er von ihm erhält. Mit frohem Munde
Und einem tiefen Knicks nahm das Triumvirat
Die Klausel an; und Zeus mit Schöpfersblicke
Bestätigte den Tauschtraktat:
Nun, sprach er, kehrt zur Brüderschaar zurücke,
Und sagt ihr, was der Vater der Geschicke
Für euern kühnen Ehrgeitz that.
Die Bande küßt entzückt dem Gotte die Sandale,
Und wie ein junger Arzt, der sich zum erstenmale
Dem Volk als Doktor zeigt, so steif, so naseweis
Drängt jeder sich in seiner Brüder Kreis
Und predigt seine mystische Geschichte.
Erstaunt vernahmen sie die prahlenden Berichte.
Doch ehe noch ein Tag verschlichen war,
Hieß es, der Fuchs ist vor den Kopf geschlagen,
Der Spürhund taugt nicht mehr zum Jagen,
Und Argus Luchs bekömmt den Staar.
Geliebte, die Ihr theils mit fröhlichem Getümmel
Wie holde Scherze mich umschwebt,
Theils weit von mir zerstreut, auch unter fremdem Himmel
Noch stets in meinem Herzen lebt!
Glaubt Eurem besten Freund auf Erden,
Wer alles werden will, wird nie was Rechtes werden.

Gottlieb Konrad Pfeffel
Poetische Versuche
Erster bis Dritter Theil, Band 3
Tübingen 1802

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