Donnerstag, 28. Juni 2012

Der Sperling und die Schwalbe

Die friedsame Schwalbe hatte ruhig den kalten, nahrlosen Winter durchschlafen, und kam nun, von der allbelebenden Sonne des Lenzes erweckt, zur Wohnung ihres gastfreundlichen Wirthes zurück. Noch hing unter dem Schirmbrette des Firstes ihr Nestchen; ein räubrischer Sperling aber bemächtigte sich ihres durch Fleiß erworbenen Eigenthums, und besetzte es mit seiner verderblichen Brut. Zu schwach, mit dem Stärkern zu rechten, baute das Schwälbchen gelassen eine neue Wohnstatt, und deckte, nach kurzer Zeit, fünf Kinder mit wärmenden Flügeln. Gleichviel junge Schreyer waren indess im Neste des Sperlings zum Abflug reisefertig; als die Kinder des Hauswirths auf einer Leiter das Schirmbrett besteigen, und die Sperlingszucht haschten und würgten.

Merkt Kindelein! sprach itzt die fromme Schwalbe zu ihren noch unbefiederten Kleinen, merkt euch das Sprichwort:

Unrechtes Gut kommt selten auf den dritten Erben.

Johann Ferdinand Schlez

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