Montag, 31. Oktober 2011

Die Natter

Als einst der Löwe Hochzeit machte,
Kroch zu der neuen Königin
Auch eine kleine Natter hin,
Die zum Geschenk die schönste Rose brachte.
Doch jene weist sie ab, und spricht:
Ich nehme Rosen an; allein von Nattern nicht.

Friedrich von Hagedorn
Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen

Sonntag, 30. Oktober 2011

Falter und Schnecke

Falter haben keine Tugend –
            geb ich zu;
Sie genießen ihre Jugend
            ganz schmasu!
Rauben allen Blumenseelchen
            Glück und Ruh,
halten selbst in Lilienkelchen
            Rendezvous.

Aber denkt, ein Falterleben,
            liebe Leut‘,
Ist ja nur ein kurzes Schweben,
            überm Heut‘.
Darum laßt sie doch genießne,
            wie sie’s freut,
Alles was in Wald und Wiesen
            schnell sich beut.

Freilich, besser hat’s die Schnecke,
            der – nach Brehm –
Auch der Aufenthalt im Drecke
            angenehm;
Sie genießt das Leben gründlich
            und bequem,
tugendhaft sowohl als sündlich –
            je nachdem.

Doch erregt ihr wüstes Schleimen
            nie Skandal,
Denn sie tut es im Geheimen
            allemal;
Nur der Falterflug, der kecke,
            macht ihr Qual,
Weil er „offen buhlt“ … Die Schnecke
            hat Moral!

A. De Nora
aus: Ruheloses Herz

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Warum schielen die Tiere nicht?

Warum schielen die Tiere nicht? Dies ist auch ein Vorzug der menschlichen Natur.

Georg Christoph Lichtenberg

Dienstag, 25. Oktober 2011

Sumpfreigen


»Herrscher im Fröscheteich,
Kröten- und Molchen-Reich,
o König Storch!
Wir dick- und dünner Art,
groß und fett, jung und zart,
die du bisher bewahrt,
preisen dich, horch!

Dein Haus, wie edel ragt’s,
dein gelber Schnabel sagt’s,
dein dünnes Bein;
dein silbern Staatsgewand,
dein schwarzes Ordensband,
dein hoher Gang und Stand:
welch hehrer Schein!

Wer von uns kommt dir gleich?
jeder auch noch so reich
ist dir ein Spott.
Wann hoch im Flug du schwirrst,
oder wann du regierst,
und an dem Teich spazierst,
bist du ein Gott!

Wer hat ein Herrscherrecht,
wenn nicht dein alt Geschlecht,
o Teiches Ruhm?
Du nur versorgst uns gut,
wir zollen deiner Hut,
und sind mit Gut und Blut
dein Eigenthum!«
Abraham Emanuel Fröhlich

Sonntag, 23. Oktober 2011

Die Henne und die jungen Basilisken

Der Aberdeen Basilisk
(Bildquelle: Wikipedia)

Eine Henne fand Basiliskeneyer. Sie setzte sich darauf, und brütete sie aus.
Kaum schloffen die Jungen heraus, so frassen sie ihre Erzeugerin.

Wer bösen Leuten Schutz giebt, der ist vor ihren Streichen niemals sicher.

Heinrich Brauns
Versuch in prosaischen Fabeln und Erzählungen
München 1772
zu finden bey Joahnn Nepomuk Fritz,
und Augspurg bey Iganz Anton Wagner,
Buchhändlern.

Freitag, 21. Oktober 2011

Der Werth des Nützlichem

Der Sperling rühmte sich, daß er mehr ein Vogel wäre als der Strauß; denn er flöge. Der Strauß antwortete: Es ist wahr, meine Flügel sind nicht gemacht mich auch nur auf ein Dach zu tragen, aber sie geben doch meinem schweren Leib eine ungemeine Leichtigkeit. ich renne den Pferden, den Strömen, und gar den Winden zuvor. Ich verschlinge den Erdboden unter mir. In der Zeit daß du dich rückweise auf die Balken einer Scheune windest, verschwinde ich aus deinem blöden Gesichte.

Lessingische, unäsopische Fabeln
Enthaltend die sinnreichen Einfälle und weisen Sprüche der Thiere
Nebst damit einschlagender Untersuchung der Abhandlung Herrn Lessings von der Kunst Fabeln zu verfertigen
Zweyte Auflage
Zürich, bey Orell, Geßner und Comp. 1767

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Ein Mittel, bei Hofe alt zu werden


An Höfen fällt es schwer, das Alter zu erreichen,
Das mancher schlechter Greis in niedern Hütten fand.
Dort wird der Glücklichste, nach kurzen Gnadenzeichen,
Mit Titeln wohl versorgt, oft plötzlich weggebannt.
Ein Alter hatte doch die meisten Lebensjahre
An seines Fürsten Hof ersprießlich zugebracht,
Und seinen ersten Bart und seine grauen Haare
Zu Zeugen frühen Ruhms und langer Gunst gemacht.
Der ward: wie dieses ihm so meisterlich gelungen,
Was tausend sonst verfehlt? einst insgeheim befragt.
Er sprach: Ich habe stets, auch für Beleidigungen,
Den Feinden meines Glücks gelassen Dank gesagt.

Friedrich von Hagedorn
aus: Fabeln und Erzählungen

Die Spinne am Kreuz


Als Jesus auf dem Kalvarienberge mit dem Tode rang, sah eine Spinne seine Glieder mit Fliegen bedeckt, erbarmte sich seiner Qualen und ging daran, ein Netz um seine schmerzenden Füße zu ziehen. Nach dieser guten Tat zieht sich die mitleidige Spinne an das Ende eines Fadens zurück. Aber wie sie sich entfernt, zeichnet sich plötzlich der Schatten des Kreuzes auf ihrem Körper ab, so weiß wie eine Lilie, und die Gartenspinne hat ein solches immer behalten.
aus Frankreich
Oskar Dähnhart: Natursagen
4 Bände, Leipzig-Berlin, 1907-1912

Dienstag, 18. Oktober 2011

Oktober


In diesen Oktobertagen,
In denen des Herbstes Süße
Wie Wein zum letzten Male
Aus den zerbrechenden Bechern
Der welken Blätter träufelt,
Trinkt die sehnsüchtige Erde
Nochmals mit gierigen Lippen
Sich satt an Glut und Gold.

Dann sinkt sie trunken ins weiße,
Weichschwellende Schneebett nieder,
Schlaffschwer von Träumen umsponnen.

Und wenn sie träumt von Rosen,
So glitzern Blumen am Fenster –
Und wenn Sie träumt von Blüten,
So fallen vom Baum die Flocken,
Und wenn sie träumt vom Sommer,
So lächelt aus blauen Himmeln
Ein sonniger Wintertag.
 
A. de Nora
aus: Hochsommer

Montag, 17. Oktober 2011

Der gelbe Domino

Auf einem Hofballe zu Versailles in den letzten Regierungsjahren Ludwig XIV. drängte sich zu einem der reich bedienten Buffets fast ununterbrochen ein gelber Domino und verzehrte die köstlichen Speisen und Getränke in unbegreiflicher Menge. Verschwand er auch einen Augenblick, so war es nur, um sogleich wiederzukommen und mit frischem Appetite von neuem zu beginnen Die Sache ward endlich so auffallend, daß der König selbst befahl, den unfüllbaren gelben Domino zu verfolgen. Nun wies es sich aus, daß die wachehabenden Schweizer diesen Domino gemeinschaftlich besaßen und succesiv anlegten, um einer nach dem andern in derselben Verkleidung am Buffet erscheinen zu können. Ludwig lachte herzlich über den Einfall; und es ward nun angeordnet, die sonst vergessenen und dadurch zu jener Selbsthülfe veranlaßten Schweizer besonders zu bedienen.

Blätter für literarische Unterhaltung
Nr. 100, S. 412
Donnerstag, 10. April 1834

Samstag, 15. Oktober 2011

Der Biber und der Fischotter


Ein Biber gestattete einst dem Fischotter, seinen künstlichen Bau zu betrachten.
Erlaube mir, mein Freund! fieng der Fischotter an, dich zu fragen, warum du so viel vergebliche Kunst und Arbeit an die Aussenwerke verwendet hast, da dich die letzte Kammer allein für allen Anfällen deiner Feinde in die vollkommenste Sicherheit setzt?
Meine Wachsamkeit möchte mich verlassen, antwortete der Biber, und in diesem Fall dürfte mir keine Zeit übrig bleiben, mich in das Innerste meines Baues zurück zu ziehen.
***
Wer ein Geheimniß zu verwahren hat, thut wohl daran, es mit einem unbedeutenden Zaun zu umgeben, den er im Nothfall dem fremden Fürwitz, und der eigenen Menschlichkeit preißgeben kann.


Joh. Fridr. August Kazner
Fabeln, Epigrammen und Erzählungen
Frankfurt am Mayn, 1786

Donnerstag, 13. Oktober 2011

Der Löwe, der in den Krieg ziehen wollte

Der Löwe hatte eine Schlacht im Sinn.
So hält er Kriegsrat, schickt den Adjutanten
Zu allen Tieren hin;
Ein jedes stelle schnell sich ein,
Mit seinen Kräften hilfsbereit zu sein:
So brauche man den breiten Elefanten,
Damit er Munition und Waffen trage
Und wuchtigen Trittes eine Bresche schlage;
Zum Sturmlauf halte sich der Bär bereit;
Der Fuchs jedoch soll feine Ränke spinnen;
Der Affe suche nach Gelegenheit,
Den Feind durch Späße zu gewinnen.
»Schickt nur«, riet einer, »den Herrn Esel dort
Und auch den allzu feigen Hasen fort,
Denn jener ist so tölpelhaft wie dumm,
Und dieser kehrt vorm Feinde sicher um.«
»Durchaus nicht,« sprach der König, »beide haben
Für unsern Kriegszug nutzenswerte Gaben:
Der Esel soll mit seinem grimmen Ruf
Den Feind entsetzen,
Den Hasen, den Natur zum Läufer schuf,
Wird, denk ich, keiner als Kurier ersetzen.«

Ein weiser Fürst muß stets verstehen,
Auch dem Geringsten seinen Platz zu geben,
Und der Verständige wird nie im Leben
Den kleinsten Vorteil übersehen.

Jean de Lafontaine

Mittwoch, 12. Oktober 2011

Der Knabe und die Biene


„Was doch nur die Mutter spricht:
Störe mir die Beinchen nicht!
Ich bin groß und sie sind klein,
Wie sollt’ ich wohl furchtsam sein?
Räuber! warum sauget ihr
Alles Süß’ aus meinen Blumen mir?“

Zürnend schlägt er auf sie ein.
Weh thut’s, ob sie auch nicht schrei’n.
Aber plötzlich, wutentbrannt
Sticht ein Beinchen seine Hand;
Ach, da läuft er weinend fort! –
Folgte willig nun der Mutter Wort.


Lebensweisheit in Fabeln
für die Jugend
Von
Friedrich Hoffmann,
Hofprediger in Ballenstedt
Stuttgart, Hoffmann’sche Verlags-Buchhandlung, 1840

Dienstag, 11. Oktober 2011

Die Eiche und das Schilfrohr


Zum Schilfrohr sprach einmal die Eiche:
»Ich finde, daß du Grund zur Klage hast,
Ein winziger Vogel schon wird dir zur Last,
Der schwächste Windhauch, der im Teiche
Das Wasser kräuselt, biegt dir fast
Den Kopf zur Erde, während ich mein Haupt,
Stolz wie der Kaukasus, nicht nur dem Licht,
Nein, auch dem Sturm entgegenhebe,
Und da, wo ich im Zephir schwebe,
Ist dir's, als ob der Nordwind schnaubt.
Ach ja, du Armer, ständest du nur nicht
Dort so im Freien, sondern mehr im Schutz
Der Blätter, die nach allen Seiten
Sich dicht um meine Zweige breiten,
So bötest du dem Sturm wohl Trutz.
Jedoch es läßt sich nicht bestreiten,
Daß euer schwächliches Geschlecht
Stets dort zu Hause, wo die Winde jagen,
Und darum muß ich leider sagen,
Natur behandelt euch gar ungerecht.«

»Aus gutem Herzen,« sagte drauf das Rohr,
»Entspringt dein Mitgefühl; indes bevor
Du urteilst, mußt du auch bedenken,
Daß mich die Winde wenig kränken.
Ich beuge mich und breche nicht; bis jetzt
Hast du dem Sturm dich tapfer widersetzt
Und krümmtest nicht vor ihm den Rücken,
Doch warte ab, ob bis zuletzt
Steifnackigkeit und Trotz dir glücken.«

Kaum war's gesagt, da kam in tollem Flug
Der schlimmste Sohn dahergebraust,
Den je der Nord in seinen Lenden trug.
Der Baum steht gut, das Schilfrohr schwankt.
Der Wind verdoppelt seine Kraft und zaust
Und rüttelt an der Eiche, bis sie wankt
Und stürzt. – Da lag sie, deren Haupt den Himmel fühlte,
Doch deren Fuß im Reich des Todes wühlte.


Jean de Lafontaine

Samstag, 8. Oktober 2011

Fabel, der junge Baum und der Gärtner


Ein Gärtner pflanzte sich eins einen jungen Baum,
Und war voll Sorgfalt, ihn zu warten.
Noch lag die halbe Welt verstrickt in Schlaf und Traum;
Der kühle Morgen lachte kaum;
Schon war der Gärtner in dem Garten,
Und sah nach seinem jungen Baum.
Er wuchs, doch langsam; bald war scharfer Frost zu heftig;
Und bald war am Mittag der Sonnen Strahl zu kräftig.
Der junge Baum vertrocknet nach und nach:
Bald weil der Blätter Meng die künftge Frucht erstickte,
Bald weil die Blüthe fiel, die schöne Frucht versprach.
Der Gärtner selbst fand seine Kunst zu schwach,
Und ward betrübt, wenn er den Baum erblickte.
Er suchte Mittel auf,
Bald aus der Schweiz und bald aus Sachsen.
Umsonst, es war der Baum von Raupen nur bedeckt,
Und wollte noch nichts tragen und nicht wachsen.
Auf einmal wuchs der Baum, und bracht mit schnellem Wachsen
Die andern Bäume fast zu Neid und Eifersucht.
Trotz Hagel, Wind und Schnee, und Wetter
Verbreiten sich die hoffnungsvollen Blätter.
Nun blüht er! nein, er trägt schon Frucht!
Gedrücket von der Last der Früchte,
Biegt sich der Baum, so daß man ihm auch Stützen gab;
Die Menge war zu groß – O traurige Geschichte!
Fast alle Früchte fielen ab.

Nun werden wohl die Kenner fragen:
Was hat der Autor wohl im Sinn,
In dieser Fabel vorzutragen?
Er weis es selbsten nicht, so wahr ich ehrlich bin!
Ihr Herren Kenner, darf ichs wagen?
Ich will es thun – Ihr urtheilt allzufrüh.
Der Gärtner ist Apoll; und – Kenner, darf ichs sagen?
Der Baum – die deutsche Poesie.


Des Freyherrn Johann Friederich von Cronegk
Schriften Erster Band, Zweyte verbeßerte Aufalge
Bey Jakob Christoph Posch, in Anspach, 1761

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Indras Irrtum für Amazons kindle


Nun gibt es meine Novellensammlung »Indras Irrtum« auch als eBook - vorläufig nur für Amazons kindle.

Montag, 3. Oktober 2011

Autorenkalender 2012



Nach einem Jahr Pause ist nun in einem neuen Verlag der Autorenkalender 2012 erschienen. Neben einem Kalendarium, in das Autorin und Autor alle wichtigen persönlichen und geschäftlichen Termine eintragen kann - z. B. die Entgegennahme des Nobelpreises, die Honorarauszahlungstermine, Verlagsabgabetermine für den in Arbeit befindlichen Bestseller - finden sich zahlreiche Sachbeiträge gestandener Autoren darin und die Siegertexte des Putlitzer Preises 2011. Alles zusammen genommen ist das eine fabelhafte Sache. Wer zur schreibenden Zunft gehört, kann eigentlich nicht auf diesen Kalender verzichten.