Samstag, 8. Oktober 2011

Fabel, der junge Baum und der Gärtner


Ein Gärtner pflanzte sich eins einen jungen Baum,
Und war voll Sorgfalt, ihn zu warten.
Noch lag die halbe Welt verstrickt in Schlaf und Traum;
Der kühle Morgen lachte kaum;
Schon war der Gärtner in dem Garten,
Und sah nach seinem jungen Baum.
Er wuchs, doch langsam; bald war scharfer Frost zu heftig;
Und bald war am Mittag der Sonnen Strahl zu kräftig.
Der junge Baum vertrocknet nach und nach:
Bald weil der Blätter Meng die künftge Frucht erstickte,
Bald weil die Blüthe fiel, die schöne Frucht versprach.
Der Gärtner selbst fand seine Kunst zu schwach,
Und ward betrübt, wenn er den Baum erblickte.
Er suchte Mittel auf,
Bald aus der Schweiz und bald aus Sachsen.
Umsonst, es war der Baum von Raupen nur bedeckt,
Und wollte noch nichts tragen und nicht wachsen.
Auf einmal wuchs der Baum, und bracht mit schnellem Wachsen
Die andern Bäume fast zu Neid und Eifersucht.
Trotz Hagel, Wind und Schnee, und Wetter
Verbreiten sich die hoffnungsvollen Blätter.
Nun blüht er! nein, er trägt schon Frucht!
Gedrücket von der Last der Früchte,
Biegt sich der Baum, so daß man ihm auch Stützen gab;
Die Menge war zu groß – O traurige Geschichte!
Fast alle Früchte fielen ab.

Nun werden wohl die Kenner fragen:
Was hat der Autor wohl im Sinn,
In dieser Fabel vorzutragen?
Er weis es selbsten nicht, so wahr ich ehrlich bin!
Ihr Herren Kenner, darf ichs wagen?
Ich will es thun – Ihr urtheilt allzufrüh.
Der Gärtner ist Apoll; und – Kenner, darf ichs sagen?
Der Baum – die deutsche Poesie.


Des Freyherrn Johann Friederich von Cronegk
Schriften Erster Band, Zweyte verbeßerte Aufalge
Bey Jakob Christoph Posch, in Anspach, 1761

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