Mittwoch, 29. Juni 2011

Die Schwalbe und die Spinne


Die Schwalbe baute sich ein Nest
An einem hohen Balken vest;
Daselbst ward auch von einer Spinnen,
Die sich nicht weit davon befand,
Ein Netz gewebt und ausgespannt.
Um ihre Nahrung zu gewinnen.
Eh du, sprach sie, dein Nest erbaut,
Wollt‘ ich wohl dreissig Netze weben;
Wie viele Müh‘ mußt du dir geben,
Eh‘ man des Werkes Fortgang schaut!
Du holst dein Bauzeug erst von weiten,
und suchst es da und dort herfür;
Ich aber hab‘ es selbst bey mir,
Und kann es aus mir zubereiten;
Wie bin ich gegen dich beglückt!
Wie bald ist nicht mein Netz gestrickt!
Wie bald ist nicht mein Garn gewebet,
Das künstlich in den Lüften schwebet!

Ja! ja! rief jene, du hast recht
Die Arbeit wird mir schwer und sauer;
Allein ich bau‘ auch auf die Dauer,
Und nicht nur obenhin und schlecht;
Ich bin zwar langsam; du geschwinde,
doch siehst du, wie mein Werk besteht,
Da deins hingegen von dem Winde
Und anderm Zufall, leicht vergeht.

* * *

Ihr, die ihr alle Vierteljahre
Ein neues Buch ans Licht gebracht,
Und wegen eurer leichte Waare
Diejenigen aus Stolz verlacht,
Die nur auf dieser Meynung bleiben,
Zwar langsam, aber gut, zu schreiben:
Glaubt, euer Werk wird euch mehr Schmach,
Als Ehre, Ruhm und Vortheil, geben;
Ihr baut; doch lauter Spinnenweben;
Ihr schreibt geschwind; es ist darnach.

Fabeln von Karl Friedrich Kretschman
aus: Fabeln, Allegorien und neueste Gedichte
Leipzig 1799

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