Montag, 2. Mai 2011

Die Fabel

Als didaktische und darum weil mehr nüchterne Erzählung einer erdichteten Begebenheit bezeichnet sich die Fabel; stäts Erdichtung, will sie doch immer belehren und nimmer ihr Bild aus der physischen Welt, dadurch unterscheidet sie sich vom Mährchen; als Bild ist sie eine moralische Allegorie. Aber sie ist mehr, nämlich erzählende, aber auch dialogisierte Darstellung einer Regel der Lebensklugheit oder Lebensweisheit unter einem aus der physischen Welt (namentlich Thier- und Pflanzenwelt) hergenommenen Sinnbilde. Sie besteht aus zwei wesentlichen Theilen, dem Sinnbilde und dessen Anwendung, stäts deutet das Bild auf eine Moral, und diese wird am Schlusse angegeben. so spiegelt sich in der Fabel die Moral in der physischen Welt ab. weil aber die Menschenwelt nicht immer moralisch ist, nimmt der Fabeldichter sein Bild aus der nicht-menschlichen Welt. Der Ton dieser Dichtungsart ist einfach, kindlich, edel, oft scherzhaft, naiv. Herder’s Eintheilung in theoretische, sittliche und Schicksalsfabeln ist überflüssig, denn die Fabel moralisiert stäts. Als ausgezeichnete Fabeldichter nennen wir den Araber Leckman, Aesop, Phädrus, Gellert. Reineke Fuchs ist eine epische Fabelreihe in erzählender und dialogisierter Form.

D.J.G. Scheibel
in: Allgemeine Kirchenzeitung
Sonntag 22. October 1837
Nr. 169 - S. 1389 f.

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