Sonntag, 6. Februar 2011

Eine Hindufabel von der Erschaffung des Weibes


Yann - Bildquelle: Wikipedia

Im Anfang erschuf der Gott Twaschtri die Welt. Als er aber das Weib erschaffen wollte, sah er, daß er allen Stoff bereits für den Mann verwandt hatte, und daß keine Bestandteile mehr für das Weib vorhanden waren. Twaschtri sann lange nach, und als er nachgedacht hatte, tat er folgendes. Er nahm die Rundung des Mondes, die Wellenlinie der Schlange, des Grases Zittern, des Schilfes Schlankheit, der Blume Samtweiche, des Blattes Feinheit, des Rehes Blick, des Sonnenstrahls spielende Munterkeit, die Tränen der Wolken, die Unbeständigkeit des Windes, die Furchtsamkeit des Hasen, die Eitelkeit des Pfaus, die Weichheit der Flaumfeder, die Härte des Diamanten, die Süßigkeit des Honigs, die Grausamkeit des Tigers, die Wärme des Feuers, die Kälte des Eises, die Geschwätzigkeit der Elster und das Girren der Turteltauben.

Aus all diesem schuf er das Weib. Als es fertig aus seinen Händen hervorgegangen war, schenkte er es dem Manne.

Acht Tage später kam der Mann zu Twaschtri und sagte: „Herr, das Geschöpf, das du mir geschenkt hast, vergiftet mein Leben. Es spricht unaufhörlich und bringt mich um meine Zeit. Es jammert um ein Nichts. Es ist immer krank. Ich bin gekommen, um dich zu bitten, deine Gabe wiederzunehmen. Ich kann nicht mit dem Weibe leben.“

Und Twaschtri nahm das Weib zurück.

Nach abermals acht Tagen kam der Mann wieder zu seinem Schöpfer und sagte: „Herr, mein Leben ist einsam, seit ich dir das Weib zurückgegeben habe. Ich kann nicht umhin, immer daran zu denken. Stets sehe ich sein Lächeln und gedenke daran, wie es mich durch seinen Tanz beglückte.“

Und der Schöpfer gab die Frau dem Manne wieder.

Es waren aber nur drei Tage verflossen, da fand sich der Mann wieder ein. „Herr, ich habe es nun wieder versucht, aber ich sehe ein, daß die Frau, die du für mich geschaffen hast, mir nur zum Unglück ist. Die Ärgernisse, die diese Frau mir bereitet, überwiegen weit die Freuden, die sie mir schenkt. Herr, nimm sie zurück!“

Jetzt aber war die Geduld des Gottes zu Ende. „Geh,“ rief er, „und richte dich mit dem Weibe ein, so gut du eben kannst; ich nehme es nicht nochmals zurück!“

Der Mann aber sprach: „O, ich Unglückseliger! Ich kann nicht mit dem Weibe leben, aber ich kann auch nicht mehr ohne dasselbe sein! Was wird daraus werden?“

B. E.
Bibliothek der Unterhaltung und des WissensJahrgang 1908, 4. Band, S. 211 f.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

"Ich kann nicht mit dem Weibe leben, aber ich kann auch nicht mehr ohne dasselbe sein! Was wird daraus werden?“

Daraus wurde in manchen Stunden ein seliges, überschäumendes Glück, an das der Mann sich erinnerte. Das, was er Geschwätzigkeit nannte, war ein fröhliches Erzählen. Über dies und das. Es interessierte den Mann, aber er konnte es nicht zugeben, er musste vorgeben, nur mit schweren Gedanken umgeben zu sein, um Entscheidungen zu treffen, bei denen er oft genug zögerlich war. Er erinnerte sich voll Trauer, keine war mehr da, die seinen Lieblingsbrei kochte, keine war da, die Geliebte, Frau, Mutter, Köchin, Gefährtin und durchaus auch mal Furie war. All das in einer Person. Denn der Mann war eben nur eins. Mann.
Und er weiß bis heute nicht, aus welchen Zutaten ihn Gott geschaffen hatte. Er wurde trübsinnig und begriff eines Tages, dass er falsch gedacht hatte. Die Frau gehörte ihm nicht, war ein weiteres Wesen, dass manchmal zu ihm passte und auch nicht. Aber nun war sie fort ...
sagt Jenny