Freitag, 7. Januar 2011

Die Rangierlokomotive und der Prellbock



»Sie sind mir im höchsten Grade unsympathisch, um mich nicht schärfer auszudrücken«, sagte die Rangierlokomotive zum Prellbock.

Es war eine Rangierlokomotive ältester Konstruktion, die nur noch dazu verwandt wurde, auf dem Hauptgüterbahnhof Waggons, die entladen werden sollten, in ein sogenanntes »totes Gleis« zu ziehen, an dessen Ende der Prellbock stand.

»Unsympathisch sind Sie mir«, knirschte sie und rannte absichtlich hart gegen den Prellbock.

»Lassen Sie mich doch, bitte, nicht immer unter Ihrer Unzufriedenheit leiden; ich kann doch nichts dafür, daß man Sie hier auf den Rangierbahnhof gesteckt hat«, meinte der Prellbock gutmütig, »ergeben Sie sich doch in Ihr Schicksal.«

»Ergeben – ergeben – so ein dummes Gewäsch! Man möchte explodieren, wenn man es mit ansehen muß, wie man heute unreifen, unerfahrenen Laffen von Maschinen, kaum der Werkstätte entwachsen, Züge anvertraut. – Einen roten Streifen um den Schornstein und all die anderen Firlefanzereien habe ich nicht – Gott sei Dank, es täte mir leid – ich bin eine solide Person. – Ich, ausgerechnet ich, bin dazu verdammt, blöde ungebildete Güterwagen auf und ab auf diesem idiotischen Gleise zu ziehen. – Veraltet sei ich! Ha – Ha – ha! Ich veraltet! – Und Sie«, fiel sie plötzlich über den Prellbock her, »Sie haben nicht das geringste Verständnis für die Tragik in meinem Leben. – Ihre langweilige Physiognomie immer vor Augen, das geht mir, weiß Gott, auf die Nerven. – Sie sind schuld! Sie versperren mir den Weg in die Welt! Ha, wie würde ich den Herren vom grünen Tisch zeigen, was die veraltete Lokomotive zu leisten vermag; hätte ich nur freie Fahrt vor mir. – Sie – Sie versperren mir den Weg – Sie Reaktionär!! Wenn Sie wüßten, wie ich Sie hasse, vom Grund meiner Seele aus hasse. – Glotzen Sie nicht so dumm!« Sie rannte wütend gegen den Prellbock.

»Immer Ruhe, Ruhe«, suchte der Prellbock die Aufgeregte zu beschwichtigen. »Sie verbiegen sich nur die Puffer, und das ist schmerzhaft.«

Sein Phlegma erhöhte nur ihren Zorn. Rasend vor Wut pfiff sie gellend auf. – –

Tag für Tag wiederholten sich diese Szenen, und die Ausfälle gegen den guten Prellbock wurden immer heftiger, so daß es schließlich diesem, der doch eine Seele von einem Kerl war, zuviel wurde. Als wieder mal die Lokomotive in der gemeinsten Weise über ihn hergefallen war und ihn unter anderem ein »reaktionäres Mastodon« genannt hatte, riß dem Prellbock, der zwar nicht so recht wußte, was ein Mastodon sei, jedoch das Empfinden hatte, daß es ein sehr verletzendes Schimpfwort sein müsse, die Geduld, und er brüllte plötzlich los: »Lossen's mir mai' Ruah! Mai Ruah will i hob'n!«

»Sprechen Sie Hochdeutsch mit mir, Sie Flegel!« schrie die Lokomotive und kam in voller Fahrt haßerfüllt auf den Prellbock losgefahren, um sich in einem empfindlichen Stoß zu rächen. – Fast berührten ihre Puffer den Prellbock, als dieser blitzschnell zur Seite sprang; die Lokomotive sauste durch, vergrub sich mit den Rädern im Dreck, überschlug sich und explodierte mit furchtbarem Knall.

»Mastodon. So eine Gemeinheit. Diese freche Person«, murmelte vor Erregung keuchend der Prellbock und hüpfte wieder an seinen alten Platz.

Hermann Harry Schmitz
aus: Drei Fabeln ohne Moral

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