Sonntag, 30. Januar 2011

Der Phönix

Bildquelle: Wikipedia

An einem schönen Tage kam
Aus weit entferntem Lande
Ein Wundervogel, und man nahm,
Obschon man ihn nicht kannte,
ihn gerne auf in unserm Haine;
Man folgte hier, wie oft, dem Scheine.

Ein Phönix war es, und es eilt.
Der Vögel Schaar, ihn zu begrüßen;
Man macht den Hof ihm, wo er weilt,
Man buhlt um seine Gunst; es müssen
Selbst Neid und Bosheit eingestehen,
Daß solche Pracht man nie gesehen.

Die Federn, seiner Stimme klang,
Erfüllet Alle mit Entzücken:
M;an nennet göttlich seinen Sang,
Und eilet, ihn mit Ruhm zu schmücken,
Nur dahin geht Aller Streben,
Mit Lob und Preis ihn zu erheben.

Die Nachtigall bekennet laut,
Nie Schonern sang gehört zu haben.
Der Pfau stets auf den Phönix schaut,
Um seinen Blick an ihm zu laben.
Bewundrung füllet Aller Herzen:
An Trennung denkt man nur mit Schmerzen.

Der Phönix wird als Himmelssohn,
Als Vogel-König sehr geehret;
Mit Staunen nur spricht man davon,
Wie er, vom Feuer nicht verzehret,
Verjüngt sich aus der Glut erhebet,
Und vor der Flamme Wut nicht bebet.

Doch während man den Phönix preist,
Seufzt eine Turteltaube leise.
Der Gatte hört die, und verweist
Die Schweigen ihr auf sanfte Weise.
„Es regt der Neid sich, wie es scheint?“
„O nein!“ – erwidert sie und weinet.

„Ihr preiset dieses Vogels Glück?
Ganz anders fühle ich im Herzen:
Mich jammert nur sein Missgeschick,
und füllet mir die Brust mit Schmerzen.
Der Arme steht allein:
Wie kann er glücklich seyn?“

Claris de Florian

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