Sonntag, 31. Oktober 2010

Der Reiher und die Rohrdommel


Um seinen Durst zu löschen, kam der Reiher an einen Teich, wo die Rohrdommel das klare Wasser aufgerührt und getrübt hatte.
»Thor!« (rief ihr der Reiher zu) »Warum rührst du den Schlamm auf, wenn du fischen willst?«
»Thor selber!« (versetzte die Rohrdommel) »Weißt du noch nicht, daß sichs im Trüben am besten fischt?«
Karl Friedrich Kretschman
aus: Fabeln, Allegorien und neueste Gedichte,
Leipzig 1799

Samstag, 30. Oktober 2010

Indischer Spruch


361.

Von der Biene lernte ich's, allen Wünschen zu entsagen:
Mit so vieler Müh' hat sie ihren Honig heimgetragen,
Und ein Andrer nimmt ihn weg, und er gibt ihr selbst den Tod!
Ach, das gleiche Schicksal ihm, der sich Reichthum sammelt, droht!

Indische Sprüche
aus dem Sanskrit metrisch übersetzt
von Ludwig Fritze
Leipzig, 1880

Freitag, 29. Oktober 2010

Der Wolf und der Bär


Der Wolf und Bär fielen einstmals in einerley Krankheit. Der Wolf erholte sich zuerst, und besuchte den Bär, der mit seiner Krankheit annoch behaftet war. Da sich nun der Bär verwunderte, wie der Wolf so bald war wieder hergestellet worden; so antwortete dieser: ich schliesse, es müsse daher kommen, weil ich nur allein mit der Krankheit zu kämpfen gehabt, du aber hast nicht allein mit der Krankheit sondern auch mit dem Doktor zu streiten.

Diese Fabel zeiget, die Natur kuriere öfters sicherer, als die Arzney, welche durch ihre Wirkung jener oft hinderlich ist.

Moralische Fabeln mit beygefügten Erklärungen einer jeden Fabel
Aus dem Dänischen des Herrn Barons von Holberg
übersetzt durch J.A.S.K.D.E., Leipzig 1752

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Die Fabel soll ergötzen

Die Fabel ist deswegen da, daß sie ergötzen, und zugleich nützen soll. Aus diesem doppelten Endzwecke wollen wir alles, was wir gesagt haben, herleiten.

Christian Fürchtegott Gellert
Von denen Fabeln und deren Verfassern

Dienstag, 26. Oktober 2010

Die Löwin und die Antilope

Darstellung der Antilope (Fabelwesen) im Harley-Bestiarium (1240)
Quelle: Wikipedia

Eine Suahelisage

Eine Löwin hatte ein Junges. Da sie es eben zur Welt gebracht hatte, verspürte sie großen Hunger und konnte ihn gar nicht stillen. Am siebenten Tage beschloß sie, auf Raub auszugehen und zu töten, was ihr in den Weg käme. Auf ihrem Wege traf sie eine Antilope, die graste friedlich nahe dem Walde. Die Löwin schlich sich leise und vorsichtig dicht an das Tier heran. Gerade wollte sie losspringen, als die Antilope sich umsah und, die Löwin freundlich anblickend, rief: »Willkommen, Gevatter!« Da schämte sich die Löwin ihres bösen Vorhabens und verschonte die Antilope, die sie so freundlich begrüßt hatte.

Held, T. von
Märchen und Sagen der afrikanischen Neger
Jena, 1904

Montag, 25. Oktober 2010

Biografie eines Pudels



Quelle: Wikipedia


Einleitung

In einem der großen Seen, welche unsere Sternseher im Monde bemerken, liegt eine Insel, die seit Jahrtausenden zum Elysium für die Schatten der Hunde, dieser treuen Gefährten der Menschen, bestimmt ist. Der ernste Dogge und das schmeichlerische Windspiel, der cholerische Pommer und der drollichte Pudel vereinigen sich hier in brüderlichen Gruppen, aus denen selbst das alberne Möpschen und der sybaritische Bologneser nicht ausgeschlossen sind, weil sie, wie der Domherr und der Stutzer, mit ihrer sublunarischen Hülle die angemaßten Privilegien ihrer Kaste zurücklassen.
Einst war ein solches Kränzchen an dem blumichten Ufer des Sees versammelt, als der Schatten eines ihrer Brüder, von einer Silberwolke getragen, in einer nahen Korallenbucht anlangte. Der Ankömmling wurde mit emsiger Freude bewillkommt, und schwebend in den bunten Zirkel eingeführt. Als er sich von der süßen Ermattung der Überfahrt erholt hatte, sprach der Aldermann des Clubs zu ihm: Bruder, die Gesetze unserer Republik legen Dir die Pflicht auf, uns die Geschichte Deiner irdischen Pilgrimschaft zu erzählen; wir sind begierig, sie anzuhören. Meine Geschichte, antwortete der Schatten mit heiterer Miene, ist keine von den alltäglichen. Hätte ich, wie jetzt, die Gabe der Vernunft und der Sprache, oder wie so manche Gecken und Gauner der Unterwelt, meinen Biographen gehabt, so würde die Epopee meines Lebens mit didotischen Lettern auf Subskription gedruckt, und durch Pinsel und Grabstichel auf Sonnenfächern und in Almanachen verewigt worden sein. Doch mein Heldentum kam mich zu teuer zu stehen, und machte mir oft zu wenig Ehre, als daß ich mich hier, wo alle Täuschung aufhört, damit brüsten sollte. Wenn indessen meine Geschichte dem Zirkel meiner neuen Freunde eine angenehme Stunde machen kann, so werde ich es nicht bereuen, der Ritter eines Romans gewesen zu sein.
Mit lüsterner Ungeduld lagerte sich die Gesellschaft um den Fremdling her, und er erzählte an der Seite des Dekans, was die folgenden Blätter enthalten:

Der komplette Kurzroman findet sich hier

Sonntag, 24. Oktober 2010

Von der Indianer Weisheit ...

5. §. Von der Indianer *) Weisheit hat uns Sendebar, oder Sandhaber, denn man findet ihn verschiedentlich geschrieben, ein Buch hinterlassen, davon ich einen alten Druck in lateinischer Sprache besitze. Der Titel heißt: DIRECTORIUM HUMANÆ VITÆ, ALIAS PARABOLÆ ANTIQUORUM SAPIENTUM: dieser ist sonder Ort und Namen des Druckers, ohne Zahlen der Blätter und Seiten, mit alten Holzschnitten in Fol. gedruckt. In der Vorrede steht, daß es eigentlich Belile ve Dimne **) heiße, aus dem Indianischen ins Persische, sodann ins Arabische, hernach ins Hebräische, und endlich ins Lateinische übersetzet worden. Dieser letztere Uebersetzer Johannes DE CAPUA, richtet seine Zueignungsschrift an den Cardinal Matthäus, in einem sehr barbarischen Lateine: so, wie es um die Erfindung der Buchdruckerkunst üblich war. Der Inhalt aber besteht in XVIII. Capiteln, aus lauter Fabeln, die der König Anastres Casri, durch seinen Leibarzt Berozias, aus Indien bekommen, als er ihn hingeschicket hatte, auf den Bergen Kräuter zu sammlen, womit man Todte auferwecken könnte. Als dieser sie nun gesammlet und zubereitet hatte, die Todten aber doch nicht auferwecken konnte; erfuhr er von den indianischen Weisen: daß man durch die Berge die weisen Männer, durch die Kräuter aber die Weisheit, wie durch die Todten die Thoren, verstehen müßte; und bekam von ihnen das Buch der Weisheit, welches er ins Persische übersetzte, und seinem Könige brachte. Diesem nun gefiel es überaus, daher er es gemein zu machen befahl. Starke hat es von neuem lateinisch übersetzet; der weise Herzog zu Würtemberg Eberhard aber, soll es ins Deutsche gebracht haben. Eine sehr alte deutsche Dollmetschung in Fol. habe ich zu Wien in einer Privatbibliothek gesehen; die aber ungemein selten gefunden wird.


Johann Christoph Gottsched
Versuch einer critischen Dichtkunst
Des I. Abschnitts II. Hauptstück
*) mit »Indianer« meint Gottsched »Inder«
**) gemeint ist: Kalila und Dimna

Freitag, 22. Oktober 2010

Der Löwe und die Ratte



Man soll sich möglichst alle Welt verpflichten,

Der Kleinste selbst kann werten Dank verrichten.

Nichts ahnend kroch

Aus ihrem Loch

Vor des Löwen Maul eine Ratte hervor

Und bangte, daß sie ihr Leben verlor.


Der König der Tiere aber bewies

Großmut, indem er sie laufen ließ.

Die Wohltat blieb nicht ohne Lohn.

Wer glaubt wohl, daß von jener Ratte

Der Löwe einen Nutzen hatte?


Und doch geschah's nach wenig Tagen schon,

Als er aus seinen sichern Wäldern ging

Und unversehens sich in einem Netze fing.

Er machte drin – vergeblich – groß Geschrei

Und doch: die Ratte eilt darauf herbei –

Das Maschenwerk zernagen ihre Zähne,

Befreit entkommt der König mit der Mähne.


Viel mehr als Wut und große Kraft

Hat hier Geduld und Zeit geschafft.

Jean de Lafontaine

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Der Fuchs und der Marder


Ein Fuchs, der manches Huhn den Bauren abgenommen,
Ließ Nachbar Mardern zu sich kommen,
Freund, hob er an, ich bin betagt,
Und, wie du siehst, nicht weiter tüchtig
Den Hühner nachzugehn, mein Fuß ist zwar noch flüchtig,
Allein der Schnupfen, der mich plagt,
Benimmt mir alle Kraft, das Wildpret auszuspüren,
Deswegen könntest du mich führen;
Es mangelt dir nicht an der Spur.

Zu dienen, sprach der Freund! mein Herr befehle nur,
Vor mir mag sich kein Raub verkriechen,
ich kann ihn auf die Meile riechen,
Es sey Huhn, Täuber oder Hahn.

Inmittelst sah der Fuchs des Führers Rüssel an,
Und sieh, es guckt auf allen Seiten
Das Zahnfleisch durch die Schnauze vor.
Was ist das? sprach der Fuchs, der schon den Muth verlor:
Ach nichts, versetzte der. Wie? gar nichts? Kleinigkeiten,
Doch aber? je mein Herr! fing Nachbar Marder an,
Der Dorfhund, Greif, hat es gethan,
Der Bube hat mich so gebissen,
Und mir das Maul mit aufgerissen.
O! Seufzte Reinecke, wenn diesem also ist,
So werd’ ich keine Feder rupfen,
Dir fehlt die Nas’ ich schwimm’ in Schnupfen.

***

Wer Schwache leiten will, der sey
Von ihrer Schwachheit selber frei.

Magnus Gottfried Lichtwer

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Seliges Ende


In dem Vogel-Messing-Käfig,
Welcher hing am Fensterkreuze,
Draußen in der Öd, im Nachtsturm,
Schwindelnd hoch ob Mikromonas
Quaderhartem Straßenpflaster,
In dem fürchterlichen Käfig
Stand am Rande vor dem Abgrund
Noch der Held, Don Tulifäntchen.
Sprach: »Ein unerschrockner Tod
Sühnt die Schande dieses Tages.
Nicht geziemt's, das Haupt umrauscht
Von dem Flügelschlag der Kere,
Wild zu prahlen in die Lüfte;
Aber sagen darf ich kühnlich:
Ich bin größer als mein Leib!
Heilen durch das letzte Mittel
Wir die Wunden unsrer Ehre!
So empfang, du grause Tiefe,
Mein zerschmettertes Gebein!«
Sprach's und sprang und stürzt' und stürzte,
Luftumpfiffen, tiefer, tiefer,
Gräßlichhaltlos, schwindeltot!

Aber mit der ganzen Fabel
War die silberblühnde Wolke
Just darunter angelangt.
Tulifäntchen stürzt' und stürzte
Auf den schwanenweichsten Schoß,
In die seidenzärtsten Arme.
Und aus Nacht zu sel'gem Schrecken
Seine Wimpern öffnend, sah er
Um sich, über sich, empor
Nur in Fee Libellens Augen,
Nur in Rosalindchens süße,
Kleine, himmeltrunkne Äuglein.

Fee Libelle herzt' ihn, drückt' ihn,
Und das Bräutlein küßt' ihn zärtlich.
Rief der Held: »Wo bin ich? Wonne!«
»Bei den Deinen!« sprach die Fee,
»«Bei den Deinen!« sprach das Bräutlein,
»Bei den Deinen!« riefen alle
Glühnden Exzellenzen, alle
Gnomenpägelein, es riefen's
Alle lieblichen Libellen,
Die Kapelle musizierte.

Und das schwirrt' und klang und glühte,
Und das jauchzt' und tanzt' und schwärmte,
Daß nun auch den Kopf verlor,
Daß nun auch zu schwärmen anfing
Die jüngst so verständ'ge Wolke.
Plötzlich kam ihr in den Sinn,
Sich zum Palast zu verwandeln.
Auseinanderfließend zog
Sie vier Mauern im Gevierte;
Schlanke Säulen sproßten auf,
Zierlich Schnörkelwerk von Dunst
Kräuselt' an den Kapitälern,
Blaues Dach darüber hin
Ragt' in Winkeln, mondbeglänzet,
Auf des Windes Rücken stand
Blank und schlank der Hochzeitpalast.

Und im Innern des Palastes
War bereits die ganze Fabel.
Wie aus weiter Ferne, leis
Rief die zarte Fee Libelle:
»Fort nach Dschinnistan! Der Held
Hat vollendet auf der Erde.
Uns gehört er. Ew'ge Tugend
Kostet er nun in dem schönen,
Traumessel'gen, grünen, tiefen,
Wunderblühnden Reich der Geister!« -

Auf des Windes Rücken schwebte
Jetzt empor der Wolkenpalast,
Prachtverklärt! Er schwebt' und schwebte,
Bis er schwand zum hellen Punkt,
Bis er schwand in den Azur.

Nicht auf Erden mehr gesehn
Ward der Held, Don Tulifäntchen.

Dienstag, 19. Oktober 2010

Der alte Wetterhahn



»Man sagt mir nach, ich solle feig mich dreh’n
Nach jedem Wind; vor Zeiten ist’s gescheh’n,
Das räum’ ich ein,« sprach stolz ein Wetterhahn,
»Doch solche Schwachheit hab’ ich abgethan,
Seit Jahren steh’ ich fest auf meinem Turm
Und biete Trotz dem Winde wie dem Sturm.«
Er drehte sich auch nicht, doch offenbar
Nur deshalb, weil er eingerostet war.

Julius Sturm
Neues Fabelbuch
Leipzig, 1881

Montag, 18. Oktober 2010

Menschliche Vernunft



Wenn die Hunde, die Wespen und die Hornissen mit menschlicher Vernunft begabt wären, so könnten sie sich vielleicht der Welt bemächtigen.

Georg Christoph Lichtenberg

Sonntag, 17. Oktober 2010

Durch die Blume





Es ist nichts Neues, daß Leute, die gewissermaßen über Nacht zu Wohlstand gelangt sind und ihrem Reichtum entsprechenden Umgang suchen, alles aufbieten, um die Erinnerung an ihre Herkunft möglichst zu verbergen. Unsere vielen Kriegsmillionäre bieten dafür manchen Beweis. Einer dieser neuen Reichen, der sich ein Palais gekauft hatte und sich auch sonst bemühte, den großen Herrn zu spielen, äußerte sich bei jeder Gelegenheit höchst wegwerfend über den »gemeinen Pöbel« und das »armselige Bürgertum«. Im gesteigerten Maße seiner Erbitterung brauchte er gerne auch die Ausdrücke »Gesindel« und »Kanaille«. Ein Zuhörer, dem die Herkunft des Emporkömmlings gut bekannt war, erlaubte sich die Bemerkung: »Mein Teurer, Sie sprechen in höchst unehrerbietiger Weise von Ihren Ahnen.«

Damit hatte er die Lacher auf seiner Seite, und der rohe Protz zog es vor, nichts zu erwidern.

J. Höl./1922

Samstag, 16. Oktober 2010

Der rechte Mann

Kupferstich mit Szene aus C.F. Gellerts Die Betschwester (1745)
Quelle: Wikipedia


Gellert, ein im achtzehnten Jahrhundert geschätzter Dichter, bewarb sich einst um den Posten eines Erziehers, und da er vorzügliche Empfehlungen besaß, wünschte ihn eine reiche Dame für ihren Sohn anzunehmen. Als sich Gellert vorstellte, sagte die Dame ebenso bestimmt wie geringschätzend: »Ich wünsche vor allen Dingen, daß Sie aus meinem Sohn keinen gelehrten Pedanten machen. Ich verlange nur einen leichten Anstrich in den verschiedenen Fächern.«

Gellert erhob sich und sagte: »Ich verstehe und rate Ihnen deshalb, statt meiner lieber ein Anstreicher zu nehmen.«

P.H., 1924

Freitag, 15. Oktober 2010



Wie wenig wüßten wir von den Sitten der Alten, ohne einige ihrer Satiriker? Eine der ältesten, nach den oben im eigenen Capitel “die Satiriker” genannten Satiren ist des Bischofs von Belley le Camus: Apocalypse de Meliton ou Revelation des Mysteres coenobitiques. 1633. 8. (im Auszug von Pitois, 1668, 12.), worauf die Moines empruntés, Cologne. 1696 folgten. Noch reichhaltiger aber ist des gelehrten Pilologen Hen., Stephanus oder Etienne: Apologie pour herodote 1566. Etienne wählte die Fabeln Herodots bloß um die neuen Fabeln des Mönchs Christenthums in ein lächerliches Licht zu setzen, die der aus den Predigten der Maillard, menot, Barletta, aus den Conformitäten des B. de Pisis, der goldenen Legende und eigenere Erfahrung herholte. …

Die Möncherey oder geschichtliche Darstellung der Kloster-Welt
Dritten Bandes zweyte und letzte Abtheilung
Stuttgart 1820

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Der witzige Wolf

An einer kleinen mitteldeutschen Universität lehrten um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die vier Professoren Eck, Kothe, Dieffenbach, Wolf, die alle als strenge Examinatoren gefürchtet waren. Eines Tages fand man am schwarzen Brett der Universität folgenden Vers angeschlagen:

»Bist du glücklich um die Ecken,
Bliebst du nicht im Kothe stecken,
Kamst du durch den Dieffenbach,
Frißt dich doch der Wolf hernach.«

Professor Wolf, der diese Verse gelesen hatte, bemerkte  im Kolleg, daß der Wolf nur Schafe fräße. Dieser Ausspruch brachte ihm ein Beifallsgetrampel seiner Hörer ein.

Anon./1922

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Die Biene mit der Spinne






( Im Spiegelton des Ehrenboten.)
                     
   'Ne alte Spinn', die thät ein Netzlein weben,
Darin sie Mücken fangen wollt',
Sie bringen um das Leben,
Damit sie sich in stiller Ruh'
Könnt' ohne Müh' ernähren.

    Indem wollt' eine Bien' zur Arbeit fliegen,
Einsammeln süßer Blümlein Saft;
Als sie sah das Betrügen,
Der Spinne schalkhaft böses Netz,
Da tadelt' sie's in Ehren.

    Gar scharf die Spinne sie drum straft';
Die Spinne, die war lasterhaft
Und sprach zu ihr: »Mich lehrte
Natur subtile, zarte Netzlein spinnen,
Darin ich diesen Sommer lang
Mir Nahrung könnt' gewinnen
Ohn' alle Arbeit, Müh' und Angst,
Daß mir's nicht sauer werde.

    In meinem Netz kann ich mich listig ducken,
Und wenn dann fallen in mein Netz
Die Schnaken und die Mucken,
Ohn' alle Müh' ich sie umstrick'
Und sie des Bluts beraube.

    Die Nahrung dein mußt du mit Müh' erraffen,
Du fliegst den ganzen Tag hindurch
Auf Blüten, mußt dann schaffen
Auch gar im Bienenstocke noch;
Das ist doch Unruh', glaube!«

    Die Bien': »Die Ruhe sei verflucht,
Die so mit schnellen Listen sucht
Den Nächsten zu verstricken;
Du nährest dich mit Unschuldiger Blute,
Ich aber mich mit Arbeit nähr'
Und allen komm' zu gute.
Honig bereit' ich und das Wachs;
Arbeit thut mich erquicken.« –

    Allhie wird uns bedeutet durch die Spinnen:
All', die mit Schaden andrer Leut'
Ohn' Arbeit Gut gewinnen,
Wie Wucherer, Finanzer all,
Fürkäufer, falsche Juristen,

    Münzfälscher auch und Possenreißer, Trügener,
Simoneier, Räuber, Dieb',
Falsche Spieler und die Lügener –
Die stellen Strick' und Netze viel
Dem Volk mit schnellen Listen.

    In der Biene seien die erkannt,
Die sich ernähren mit der Hand,
Dem Nächsten auch zu Nutze,
Und in des Angesichtes Schweiß sich nähren,
Wie Gott im Anfang uns gebot;
Das ist mit Gott und Ehren!
»Wer nicht arbeit't, soll essen nicht,«
Spricht Paulus wol mit Trutze.


Hans Sachs

Dienstag, 12. Oktober 2010

Indische Sprüche

71.

Dem Haken folgt der ries'ge Elephant;
Wie ist der Haken gegen ihn so klein!
Die Lampe brennt, daß Dunkel ist gebannt,
Und doch ist's größer als der Lampe Schein!

Es stürzen Berge durch den Donnerkeil;
Und ist wol dieser gleich den Bergen groß?
Wer Feuer zeigt, dem wird auch Macht zu Theil;
Doch traue nicht auf plumpe Größe bloß.

Indische Sprüche
Aus dem Sanskrit metrisch übersetzt
von Ludwig Fritze
Leipzig 1880

Sonntag, 10. Oktober 2010

Der Ackermann und der Affe






Ackermann:
Was gaffst du, Affe, so mich an?
Affe:
Gelt, Freund, du bist ein Bauersmann?
Ackermann:
Zu dienen; und wer bist denn du?
Affe:
Ein Aff und süßer dazu.
Ackermann:
Ist eins so lang wie’s andre breit;
habt in der Stadt wohl Festtag heut?
Affe:
Für Affen und für feine Leut
geht jeder Tag wie Festtag hin.
Ackermann:
gut, gut, daß ich ein Bauer bin!

Johann Heinrich Campe
Texte zum Bilder-Abeze

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Der Drache und die Iltis


Bildquelle: Wikipedia

Ein Drache brüstete sich hoch wegen des kostbaren Edelsteins, den die Natur – wie das Gerücht, zumal in der Fabel, geht – ihm ins Haupt gelegt habe.

Fürwahr ein sehr unzeitiger Stolz! Straft’ ihn die Iltis: was hilft dir ein Reichthum, der niemals dir, sondern erst nach deinem Tode einem andern Nutzen bringt, und der obendrein Ursache ist, daß tausend Feinde dir Strick und Netze legen?

Ein Antwort, die man den Bewahrern der Geldkästen zurufen könte!

Fabeln nach Daniel Holzmann
weiland Bürger und Meistersänger zu Augspurg
herausgegeben von A.G. Meißner
Carlsruhe, bey Christian Gottlieb Schmieder, 1783

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Auf Denselben



Domenico Feti: Parable of the lost drachme
Quelle: Wikipedia


Aus Sympathie
Behagt mir besonders ein Meister:
Domenico Feti heißt er.
Der parodirt die biblische Parabel
So hübsch zu einer Narrenfabel,
Aus Sympathie.
Du närrische Parabel!



Johann Gottfried Herder

Werke. Erster Theil. Gedichte
Berlin 1879

Dienstag, 5. Oktober 2010

Zuneigungs-Schrift an meine liebe Mutter die Wahrheit

Liebe Mutter,

Wie [ist] es Euch seit Eurem Abschied von ** ergangen? ob Ihr noch lebt? ob Ihr den Teutschen Boden gar verlassen? oder euch, wie Ihr zuweilen im Sinn gehabt, in die Wüste geflüchtet? habe ich seit unserer Trennung nie erfahren können.

Unserer Freunde, deren, wie Ihr wißt, noch wenige seynd, wollen mich versichern, Ihr habt euch an den Hof eines guten und weisen Fürsten begeben, der habe Euch an seinem Fürstenstuhl zu stehen vergönnt, Ihr gienget vor Ihm her in den Rath und weichet nie von seiner Seite, die Unschuld und Tugend zu Ihm zu begleiten, seye euer tägliches Amt, durch Euch rede der Fürst Worte der Gnade und der Gerechtigkeit zu seinem Volk, preißwürdige Thaten zu den Menschen.

Andere hingegen sagen mir: Unsere Feindinnen, die Verläumdung und Lügen, hätten ihren alten Proceß gegen Euch gewonnen, ungehört und unbefragt wäret Ihr in vier Mauren gebracht worden, wo Euch mit niemand mehr zu reden vergönnet seye.

Ihr habt mich gelehret, Mutter, den Menschen eben so viel Gutes als Böses zuzutrauen, ich glaube jenes, indem ich dieses fürchte. Doch wie kan, hat mir offt meine Tante, Gute-Gewissen, gesagt, wie kan die Tochter der Wahrheit um ihre Mutter sich fürchten!

Ihr habt mich, wie Ihr noch wohl wißt, in den Händen der Weisheit, meiner Groß-Mutter, zurückgelassen, sie konnte mich aber, da sie von den Göttern der Erde berufen worden, Friede unter Ihnen zu machen, nicht länger bey sich behalten, sie schickte mich in die Welt: Jung seyd ihr noch, sagte sie, ihr werdet noch wohl Freunde finden, so viel Feinde auch Eure Mutter hat.

Ein mitleidiger Greis, edel von Herzen und Bildung, brachte mich in die Hütte eines Patrioten, der mich lieb gewann, weil ich Eure Tochter bin, er umhüllte mich in ein leichtes Gewand, in welchem ich dem verwöhnten Auge der Menschen unanstößiger wäre. Ich gienge mit ihm auf Reisen, ich sahe die Welt und die Höfe, ich erkannte den Menschen, ich sammelte meine Anmerkungen und verfaßte sie in der Sprache meines Pfleg-Vaters, Aesops.

Ich sende sie Euch hier, liebe Mutter, durch Fama, unsere Freundin, die Euch noch zu finden vermeinet. Erkennet darinnen, bitte ich Euch, die ächte Mine und das ehrliche Herz
Eurer
gehorsamen Tochter
der Fabel

Friedrich Carl von Moser
Der Hof in Fabeln
Leipzig, 1762

Montag, 4. Oktober 2010

Lange Lesenacht in Spaichingen

Die »Lange Lesenacht« hat in Spaichingen schon eine jahrelange Tradition, die zum beginnenden Herbst eine Zuhörerschaft bis in die Nacht hinein mit vorlesenden Autoren beglückt. Erstaunlich, dass diese Veranstaltung immer gut besucht ist, sogar letzten Samstag (2.10.) trotz Gegenveranstaltungen und »Wetten das«. Erstaunlich auch, dass die meisten Zuhörer wirklich bis zum Ende ausharren. Nachdem ich in den Jahren 2007 und 2008 schon auf der Lesecouch gesessen hatte, wollte ich es mir diesmal lediglich unter den Zuhörern bequem machen. Durch den kurzfristigen Ausfall einer Autorin kam ich aber selbst wieder auf die Bühne und auf die Couch. Bei der Anfrage der netten und umtriebigen Initiatorin Silke Porath konnte ich einfach nicht nein sagen, und so las ich aus dem in Kürze erscheinenden Buch »Indras Irrtum« sowie eine hier im Blog schon veröffentlichte indische Fabel vor.

Einen Bericht von dieser Lesenacht findet sich hier.

Freitag, 1. Oktober 2010

Der Erdbebenfisch


Eine Fabel aus Japan

In der Urzeit waren die Erdbeben in Japan noch häufiger und schrecklicher als jetzt. Der Grund davon ist der, dass ein riesiger Fisch mit ungeheurem, breitem Kopfe, langen Bartfäden und mächtigen Flossen, dessen grösste Kraft in seinem endlos langen Schweife enthalten ist, sich unter der Insel befindet. Sein Kopfende liegt gen Norden, sein Schweif reicht bis ins Herz der Insel, bis nach Yemato, in die Nähe der grossen Stadt Kioto. Das ist denn auch der Grund, weshalb in letzterer Gegend die Erde am öftesten erbebt, denn meist rührt das Ungetüm nur den Schweif.
Damit dasselbe nicht noch grösseres Unheil schafft, hält ein mächtiger Gott, Kaschima, Wache und lastet nicht nur selbst auf dem Rücken des Tieres, sondern beschwert denselben auch noch mit Felsen. Ist auch dies nicht ausreichend, so ergreift der Gott sein mächtiges Schwert, das er einst in der Landschaft Hidatschi in die Erde stiess und dessen Griff einen mächtigen Felsen bildet, den man den Kanamefelsen, den Grundpfeiler der Insel Nippon genannt hat. Dies Schwert vermag niemand zu heben, als Kaschima; erfasst er es aber, so ergreift Furcht den grossen Erdbebenfisch, und ohne dass Kaschima es wirklich zu zücken braucht, beruhigt er sich und das Erdbeben hört auf.

Seidel, A. (Hg.)
Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur
Weimar, 1898, S. 30-31