Freitag, 25. Juni 2010

L. Der Stachel der Biene


Die Thiere brachten ihre Klagen vor den Jupiter und unter denselben erschiene auch die Biene. Sie beschwerte sich über den Undanck der menschen, die sie ihres Honigs beraubten, und über die Spöttereyen der Thiere, die ihren Fleiß verlachten. Jupiter gabe der Abgesandtin den Bescheid: ich habe dir Fähigkeit und Lust zur Arbeit gegeben, du bist eins der edelsten meiner Geschöpfe, die Thiere, so deinen Fleiß belachen, thun es aus Neid, weil sie es dir nicht gleich zu thun vermögen, die Menschen erheben dein Lob und besingen deine Gaben, ihr Beyfall sey dein Lohn, Danck ist bey ihnen nicht zu suchen, zum Ueberfluß lege ich dir hiemit einen Stachel bey, diejenige zu züchtigen, so dich in deinem Fleiß stören und deine Unschuld beleidigen wollen.
Friedrich Carl von Moser
aus: Der Hof in Fabeln
Leipzig 1762

Donnerstag, 24. Juni 2010

Die Rose


Die Rose sprach zum Mägdelein
Ich muß dir ewig dankbar sein,
Daß du mich an den Busen drückst
Und mich mit deiner Huld beglückst.

Das Mädchen sprach: O, Röslein mein,
Bild dir nur nicht zu viel drauf ein,
Daß du mir Aug und Herz entzückst.
Ich liebe dich, weil du mich schmückst.

Wilhelm Busch

Freitag, 18. Juni 2010

Der Greis


Von einem Greise will ich singen,
Der neunzig Jahr die Welt gesehn.
Und wird mir itzt kein Lied gelingen:
So wird es ewig nicht geschehn.
Von einem Greise will ich dichten,
Und melden, was durch ihn geschah,
Und singen, was ich in Geschichten,
Von ihm, von diesem Greise, sah.

Singt, Dichter, mit entbranntem Triebe,
Singt euch berühmt an Lieb und Wein!
Ich laß euch allen Wein und Liebe,
Der Greis nur soll mein Loblied sein.

Singt von Beschützern ganzer Staaten,
Verewigt euch und ihre Müh!
Ich singe nicht von Heldentaten,
Der Greis sei meine Poesie.

O Ruhm, dring in der Nachwelt Ohren,
Du Ruhm, den sich mein Greis erwarb!
Hört, Zeiten, hörts!  Er ward geboren,
Er lebte, nahm ein Weib, und starb.

Christian Fürchtegott Gellert

Mittwoch, 16. Juni 2010

Xanthus kauft Esopus

Xanthus sprach:»Wurd ich dich kaufen,
Woltestu denn auch hinweg laufen?«
Er sprach: »Würd mir der dienst nicht bhagen,
Wil ich mich nicht mit euch befragen,
Ob ich laufen oder bleiben sol.«
Die red gefiel Xantho gar wol.
Er nam in hin und gab das geld.
Wie sie nu kamen naus ins feld,
Die sonn schein heiß; darnach nicht lang
Xanthus prunzet in dem gang.
Esopus sahs, sprach: »We meim leib!
Bei disem herrn fürwar nicht bleib,
Der der natur nicht leßt ir recht.
Was wird gschehen mir armen knecht?
Wenns sich begeben wird einmol,
Daß ich etwas ausrichten sol
Und wil mich auf das höchst befleißen,
Werd ich im laufen müßen scheißen.« –

Burkard Waldis
(1490 - 1556)

Dienstag, 15. Juni 2010

Hercules im Himmel


Als Hercules zum Lohne für sein edles Leben
Im Himmel eine Aufnahm' fand,
Wetteiferten die Götter in vereintem Streben,
Ihm ihre Achtung zu beweisen.
Nur Plutos reichte ihm stolz die Hand.
Darob der Held ergrimmt ihm trotzig zeigt den Rücken.

»Was störet, Freund!« – fragt Zeus – »so mächtig dein Entzücken?«
»Warum erzürnst du dich, wenn Plutos naht?«
»Ich lernt' ihn kennen auf des Lebens Pfad,
»Und traf auf meiner ird'schen Bahn
»Ihn beinah stets bei schlechten Leuten an"«

Jean-Pierre Claris de Florian

Montag, 14. Juni 2010

Die verkennte Gabe


Siehest du, sagte die Ziege zum Stier, Zeus hat mir auf meine bitte Hörner gegeben, stolze Hörner, du hast nicht so fein gedrehte. Ich sehe es, versetzte der Stier, und daß er dir auch einen Bart gegeben hat: - Schmerzt er dich sehr, der häßliche Bart?

Warum sollte er mich schmerzen, antwortete die Ziege, hat Zeus nicht auch seinem Liebling, dem Menschen, Bart gegeben, und schmerzt er den Menschen? Oder kann er häßlich seyn, da Jupiter ihn uns gegeben?

Lessingische, unäsopische Fabeln
Enthaltend die sinnreichen Einfälle und weisen Sprüche der Thiere
Nebst damit einschlagender Untersuchung der Abhandlung Herrn Lessings von der Kunst Fabeln zu verfertigen
Zweyte Auflage
Zürich, bey Orell, Geßner und Comp. 1767

Samstag, 12. Juni 2010

Der Bergmann und sein Kind


Zu einem Bergmann sprach betrübt sein Kind:
»Wie kommt’s nur, Vater, daß so arm wir sind,
Da du doch aus dem tiefen dunkeln Schacht
So vieles Gold schon an den Tag gebracht?«
Der aber sprach: »Ich that’s um kargen Lohn
Und machte And’re reich damit, mein Sohn;
Und viele Weise sind darin mir gleich,
Sie darben selbst und machen and’re reich.«

Julius Sturm
Neues Fabelbuch
Leipzig: Dürr, 1881

Freitag, 11. Juni 2010

Die Wolke und die Erde


Eine Wolke, die so eben erst aus der Erde empor gestiegen war, und sich gesammlet hatte, überhob sich ihrer Höhe und ihres Glanzes. Aber ihr antwortete lächelnd ihre Mutter: »Du bist ausgegangen von mir, und wirst hoffentlich bald wieder zu mir zurückkehren. Steige so hoch, wie du willst, du wirst Ungewitter, Sturm und Wind nicht entgehn; und sie alle, ja schon allzustarker Sonnenschein selbst, werden dich, als Regen, bald von deiner lüftigen Höhe stürzen.

Großen dieser Welt, und ihr Beherrscher der Erde, es hat keine Noth, so sehr ihr glänzt und braußt, ihr werdet doch wieder Erde werden.

Fabeln nach Daniel Holzmann
weiland Bürger und Meistersänger zu Augspurg
herausgegeben von A.G. Meißner
Carlsruhe, bey Christian Gottlieb Schmieder, 1783

Donnerstag, 10. Juni 2010

Die beiden Fliegen


Die Stechfliege
Was schwärmst du denn immer?
Unhöflicher Gast!
Du fällst hier im Zimmer
Entsetzlich zur Last!
Viel Unlust erleiden
Die Menschen durch dich.
So sei doch bescheiden
Und sittsam wie ich!

Die Brummfliege

O bleib mir zu Hause
Mit deiner Moral!
Was macht mein Gesause
Dem Menschen für Qual?
Ihm wär’ es erfreulich,
Wenn du mir nur glichst;
du lebest so heilig,
so ehrbar, und - stichst!


August Friedrich Ernst Langbein
(1757 - 1835)

Mittwoch, 9. Juni 2010

Die 3. Fabel: Von einem Affen


Ein Affe, dem ein Erbgut zugefallen war, legte sich eine treffliche Equipage zu; ließ sich mit Gold gestickte Kleider machen, und, damit ihn alle und jede in seiner Herrlichkeit und Pracht sehen könnten, so stieg er auf einen Hügel, der an einer Landstrasse war. Ein andres Thier, welches vorbey gieng, und den Affen in dieser Positur gewahr ward, sagte zu ihm: Alles dieses dienet nur dazu, daß deine Häslichkeit und übele Gestalt desto merklicher werde. Quo altior es, eo turpior. Je höher, je hässlicher!

Diese Fabel lehret, daß es manche Leute giebt, deren schlechte Eigenschaften nicht eher bekannt werden, als bis sie in Ehrenämter und auf den grossen Schauplatz der Welt kommen, wo ihre Unvollkommenheiten allen in die Augen fallen.

Moralische Fabeln
mit beygefügten Erklärungen einer jeden Fabel
Aus dem Dänischen des Herrn Barons von Holberg
übersetzt durch J.A.S.K.D.E.
Leipzig 1752