Freitag, 30. April 2010

Erste Gedanken


Die Blumenstauden sagen:
»Du, Veilchen, bist verblüht,
wann Kränze hocherglüht
wir alle wieder tragen.«

»Dennoch bin ich zufrieden,
spricht es, da mir beschieden,
zu künden euer Glück.
Man sucht mich in dem Mose,
als wär’ ich selbst die Rose,
und denkt noch spät an mich zurück!«

Abraham Emanuel Fröhlich

Mittwoch, 28. April 2010

Die fromme und die politische Fabel

Gar löblich stellt Möser die fromme und die politische Fabel gegen einander; die letztere will zur Klugheit bilden, sie deutet auf Nutzen und Schaden; die erstere bezweckt sittliche Bildung und ruft religiose Vorstellungen zu Hülfe. In der politischen spielt Reinecke Fuchs die große Rolle, indem er entschieden seinen Vortheil versteht und ohne weitere Rücksichten auf seine Zwecke losgeht; in der frommen Fabel sind dagegen Engel und Teufel fast allein die Wirkenden.

Johann Wolfgang von Goethe

Dienstag, 27. April 2010

Der menschliche Held

Ich habe in einer Schlacht zehn Mann erschlagen rühmte sich Thrar, und du? Nicht einen. Es ist wahr, versetzte Alastor, ich habe nicht einen umgebracht, aber ich habe einen ganzen Trupp errettet.


Lessingische, unäsopische Fabeln
Enthaltend die sinnreichen Einfälle und weisen Sprüche der Thiere
Nebst damit einschlagender Untersuchung der Abhandlung Herrn Lessings von der Kunst Fabeln zu verfertigen
Zweyte Auflage
Zürich, bey Orell, Geßner und Comp. 1767

Montag, 26. April 2010

Der Storch und der Falke



Ein junger Storch sah im Vorüberflug
Den Falken, den ein Fürste trug,
Wenn er zur Reigerbeitze ritte,
Und sprach: Es braucht nur eine Bitte
Bey der Dianen Majestät,
So werd ich auch im Rang erhöht;
Ich bin ohn daß schon hochgebohren,
Und zu der Jägerrey erkohren.
ich spieß Eideren, Frösch und Schlangen,
Was will man mehr von mir verlangen?
Drauf kam er, Supplicando, ein,
Man mögt ihm auch ein Amt verleihn,
und ein Diploma drüber schreiben,
Daß er getittelt könnt an ihrem Hofe bleiben.
Diana sprach: Was sucht der Geck?
Wenn er die Thorheit will bezahlen,
So läßet ihm zwo guldne Frösche mahlen,
Im grünen Feld. Zwo Störch an jeder Eck,
Und außen her zwo wilde Katzen,
Als Wappenhalter dran, mit aufgehobnen Tatzen.
Sein künftger Tittel sey: Freiherr von Schlangenreuter,
Erdherr auf Klapperndorf, genannt von Reisignest,
In, und zu Schnabelheim, etcetera, so weiter:
Wir wollen, daß man ihn dafür paßiren läßt.

Neue Fabeln und Erzehlungen in gebundener Schreibart
Hamburg, verlegtes Conrad König, 1749

Sonntag, 25. April 2010

Die Taube und die Ameise


Zu schwach ist keiner und zu klein –
Er kann dem andern dienlich sein.

Aus einem klaren Bächlein trank
Ein Täubchen in dem Augenblick,
Als eine Ameis niedersank
Ins Wasser, das für sie ein Meer.
Sie hätte nie ans Land zurück
Sich retten können, wenn ihr nicht
Die Taube beigesprungen wär.
Die fühlte des Erbarmens Pflicht
Und warf ein Hälmchen Gras hinab,
Das der Ertrinkenden die Brücke gab,
Auf der sie eilig lief zum Uferrand.
Als sie auf festem Boden sich befand
Und ihre Retterin zum Baum geflogen,
Da kam ein wilder Mann des Wegs gezogen
Verlumpt und barfuß, der die Taube sah
Und gierig griff zu Pfeil und Bogen.
Er meinte, daß der Vogel da
Als guter Schmaus ihm sei gesandt,
Und will ihn töten. Wie er spannt
Die Sehne und verborgen zielt,
Da beißt die Ameis ihn ins Bein,
Wobei er sich nicht still verhielt,
Denn solch ein Biß bereitet Pein.
Nun merkt die Taube, was ihr droht,
Und schnell enteilet sie dem Tod.
Lebwohl, du schönes Festgericht,
So billig war die Taube nicht!

Jean de Lafontaine

Freitag, 23. April 2010

Das Reh und der Hund


Ein zartes Reh, das gar zu sicher ruht,
Erhascht ein Hund, der keinen Dickigt scheute.
Er beisst es an, leckt das vergoßne Blut,
Und küsst zugleich die angenehme Beute.
Da seufzt das Wild: Welch Mitleid rühret dich?
Du kömmst als Feind, und raubest mir das Leben.
Und mir willst du doch solche Küsse geben,
Als wäre dir kein Freund so lieb, als ich?
Ich bitte sehr, hör auf mit deinen Bissen;
wo nicht, verschone mich mit Küssen.

Friedrich von Hagedorn
aus: Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen
Zweytes Buch

Mittwoch, 21. April 2010

Der Wolf


Ein Wolf begegnet, während er dahin läuft, dem Schneider-Russen und sagt: »Russe, ich fresse dich!« Der Russe sagt: »Halt! Erst nehme ich maß, um dir einen Überzieher zu nähen.« Der Russe fasst den Wolf beim Schwanz und beginnt [ihn] mit dem Arschinmass zu prügeln, aber der Wolf befreit sich und läuft dem Russen davon.
Dann begegnet der Wolf einem Widder und sagt zu ihm: »Widder, ich fresse dich!« Der Widder sagt: »Halt! Stelle dich mit offnem Maule hin, ich komme selbst den Berg herunter gelaufen und springe dir ins Maul.« Der Wolf steht da und sperrt das Maul auf, und der Widder galoppiert herunter und stößt den Wolf um. Der Wolf läuft erschrocken vor dem Widder davon.
Indem er weiter geht, begegnet er einem Stier und sagt: »Stier, ich fresse dich!« Der Stier sagt: »Du frissest [mich], wenn du kannst! [Aber] erst sehe ich durch dich hindurch. Stelle dich rückwärts hin!« Der Wolf stellt sich rückwärts hin, und der Stier rennt [auf ihn] los und wirft den Wolf mit den Hörnern stoßend zu Boden.
Der Wolf erschrickt und läuft, ohne den Stier auch nur anzusehen, weg.
Indem er dahin läuft, begegnet der Wolf einer weißen Stute und spricht: »Weiße Stute, ich fresse dich!« Die weiße Stute sagt: »Du frissest [mich], wenn du kannst! Fang von hinten zu fressen an!« Der Wolf geht hinter das Pferd. Die weiße Stute tritt den Wolf an die Stirn, und der Wolf stirbt.
Die Geschichte mehr dorthin, ich mehr hierher!

Wichmann, Yrjö
aus: Volksdichtung und Volksbräuche der Tscheremissen
Helsinki: Suomalais-Ugrilainen Seura, 1931

Donnerstag, 15. April 2010

Die Doppelnatur der Fledermaus

… Wie ein Mittelding zwischen Vogel und Maus ist sie schon in frühen Zeiten dem Betrachter erschienen, und als ein solch wundersames Tier steht sie auch im Vordergrund der folgenden Fabeln und Sagen.

In naiver Auffassung ist nichts natürlicher, als daß jene Doppelnatur, die sich im Äußern der Fledermaus so stark ausprägt, auch in ihrem innern Wesen, so vor allem im Benehmen andern Tieren gegenüber an den Tag tritt. In den Sagen nun zeigt sich dieser zwiespältige und zweideutige Charakter darin, daß die Fledermaus im Kriege der Vögel gegen die Vierfüßler es mit derjenigen. Partei hält, von der sie glaubt, daß sie die stärkere sei. Im Augenblick der Gefahr des Unterliegens verläßt sie daher treulos die Scharen der Vögel und geht zu den Feinden über.

Die äsopische Fabel … von der Fledermaus und der Katze dürfte auf die Fledermausfabeln in der Phädrus- und Romulustradition einen entscheidenden Einfluß gehabt haben. Dort bittet die von der Katze ergriffene Fledermaus um ihr Leben. Auf die Erklärung der Katze, sie könne es ihr nicht schenken, denn sie führe kraft ihrer Natur Krieg mit den Vögeln, erwiderte jene, sie sei ja kein Vogel, sondern eine Maus, und so wurde sie denn losgelassen. Als sie später einmal von einer andern Katze ergriffen wurde, bat sie abermals darum, nicht gefressen zu werden, und als jene bemerkte, sie sei die Widersacherin aller Mäuse, entgegnete sie, sie sei keine Maus, sondern ein Nachtvogel, und wurde abermals freigegeben.

Die Doppelnatur der Fledermaus ist auch hier schon das eigentliche Thema, aber die Abweichungen der jüngeren Fabeln sind doch so große, daß wir für sie eine vermittelnde Fassung voraussetzen müssen. Das Kriegsmotiv ist jedoch in der äsopischen Fassung schon deutlich vorgebildet durch die Motivierung der Katze, ›sie führe Krieg mit den Vögeln‹.

Oskar Dähnhardt
aus: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden
4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912

Dienstag, 13. April 2010

Chinesische Parabel

Einst lies der Kaiser Qin Shihuangdi verkünden, dass er vierhundert Beamte stellvertretend für sämtliche Beamte des großen Reiches Chin auszeichnen wolle. Der Minister Li Si, der schon in hervorragender Weise die Schrift in einer überall verständlichen Weise vereinheitlicht hatte, bekam die Aufgabe, eine Auswahl an Beamten aller Ämter und Stufen zu treffen, damit der Kaiser in seiner Gnade diese für alle Auszeichnen könne. Li Si nahm sich dieser Aufgabe in einem Maße an, die nicht überall Gefallen fand: Er war nicht nur großzügigen Zuwendungen gegenüber immun, sondern auch nicht bereit, besondere und überragende Leistungen anzuerkennen. »Der Kaiser will nicht den Einzelnen loben und auszeichnen, sondern Einzelne für die Leistungen aller«. 

Li Si reiste durch das Land, studierte Beamtenlisten, verfasste und verwarf Kriterien und hatte endlich, nach zwei Jahren unermüdlichen Suchens, eine Liste mit vierhundert Beamten des ganzen Reiches zusammen, beginnend beim einfachen Boten bis hin zum obersten Minister der kaiserlichen Zeremonien. Als der Kaiser die Liste studierte, sagte er erstaunt: »Du selbst, Li Si, stehst nicht auf der Liste und bist doch einer meiner fähigsten Beamte.« Li Si, vor dem Kaiser kniend, den Kopf am Boden, antwortete ohne aufzusehen: »Durch die Auszeichnung dieser vierhundert kaiserlichen Diener werde auch ich in gebührendem Maße ausgezeichnet.« Der Kaiser entließ ihn, hochzufrieden einen so treuen und selbstlosen Minister zu haben, und beauftragte einen anderen, mit der Vorbereitung der Auszeichnungszeremonie.

»Und doch ist eigentlich alles umsonst«, sagte der kaiserliche Türöffner beim Abendessen zu seiner Frau. »Wenige Wochen nach der Auszeichnung wird sich kein Beamter im ganzen Reich mehr daran erinnern, dass diese vierhundert für alle ausgezeichnet wurden. Die Orden tragen die vierhundert an der Brust und nur diese werden sich künftig darauf berufen dürfen. Und nur die Kindeskinder der ausgezeichneten Beamten werden künftig darauf verweisen können, dass ihr Ur-Ur-Großvater vom Kaiser Qin Shihuangdi ausgezeichnet wurde.

Horst-Dieter Radke

Montag, 12. April 2010

Der Krebs und die Schlange

Ein Krebs wollte über Land reisen, unterwegs kommt er zur Schlagen, die wird sein Gefährte. Nun windet und schlingt sich die Schlange und geht die Quer und macht sich krumm; der Krebs, der auf viel Beinen übel zu Fuße war, folgt seinem schlimmen und ungeraden Wandergesellen und geht sich außer Atem, helligt und mergelt sich in dieser schweren Reise ab. Wie es Abend wir, kehren sie beide unter einem Strauch ein, die Schlange legt sich in Ring und fähet an zu schlafen und zu Schnarchen. Der Krebs ist müde, und will kein Schlaf in seine Augen, und tut ihm das Schnarchen und Zischen wehe, und will die Schlange stoßen, dass sie still liege. Wie sie auffährt und will sich wehren, ergreifft er sie mit seiner Schwere beim Kopf und drückt hart zu, bis ihr der Atem ausgeht, da streckt sie sich die lange Länge aus und liegt so tot fein grad. »Ei“, sagt der Krebs, »wenn du heut so grad gegangen wärest, hätte ich auch besser folgen können.«


Martin Luther

Dienstag, 6. April 2010

Das Krokodil und die Antilopen


Ein Krokodil hatte Appetit auf zartes Antilopenfleisch. Doch jede Wasserstelle, die sonst von anderen Tieren genutzt wurde, blieb leer, sobald das Krokodil dort im flachen Wasser lag. Oder die Tiere sprangen bereits bei der ersten seiner Bewegungen davon.
 
»Was ist nur los, dass kaum ein Tier zur Tränke kommt und die wenigen immer bereit sind, davon zu laufen?« klagte es dem Vogel, der die Würmer aus seinem Panzer zupfte.
»Alle sehen, dass du hier liegst und wartest und keiner möchte deine Beute sein« gab dieser zur Antwort.

 
Das Krokodil überlegte eine Weile, suchte sich dann eine andere Stelle. Hier legte es sich jedoch nicht auf die Lauer, sondern offen an das Ufer, als sei es satt und müde. Bald trauten sich die ersten kleinen Tiere heran, um zu trinken und irgendwann kamen auch die Antilopen - zögerlich und bereit, sofort davon zu springen, sollte das Krokodil sich regen. Es tat aber nichts, blinzelte nur ab und an mit den Augen und lies es zu, das die Sonne langsam jede Spur von Wasser aus seinem Panzer brannte. Die Antilopen wurden immer sicherer und bald beachtete niemand mehr das Krokodil. Dieses wartete aber nur auf das richtige Exemplar. Als dann eine stolze, prächtige und gut genährte Antilope überheblich zur Tränke schritt und den Kopf senkte, um zu trinken, schoss das Krokodil vor und schnappte zu.

 
Zufrieden lag es dann am Ufer und fraß die Antilope auf.
»Du hast deine Lektion gelernt!« sagte der Vogel, der auf dem Rücken des Krokodils auf und ab stolzierte.
»Interesse zeigen, ist die ungünstigste Art, auf sich aufmerksam zu machen«, sagte das Krokodil, »zumindest dann, wenn man etwas haben will, dass keiner freiwillig zu geben bereit ist.«


Horst-Dieter Radke

Montag, 5. April 2010

Schnecke und Zecke


Die Schnecke klaut der Zecke eine Decke. Da ärgert sich die Zecke und beißt der Schnecke in den Po. 

Nina Porath