Montag, 29. November 2010

Politische Fabeln zum Revolutionsjahr 1848 (2)

Wie nach den Märztagen in Folge der Unthätigkeit und Schwäche einer ganz rathlosen Regierung, die nie handelte, sondern sich nur durch die Ereignisse fortstoßen ließ, durch die Wühlereien fremder Emissäre und meistentheils jüdischer Schrifsteller, *) durch die Uebergriffe und Anmaßung einer künstlich erregten und mißbrauchten Jugend die Lage des Vaterlandes immer trauriger und hoffnungsloser ward: weiß wohl Jeder, welcher diese Zeit miterlebt hat, wo das Rad der Geschichte so rasch rollte, daß, was vor einer Stunde Weltereigniß war, in der nächsten schon wieder von Neuem, Unerwartetem, Ungeahntem überholt und fast vergessen wurde. Alles stand auf dem Spiele. Der Kaiser war aus Wien entflohen, wo man mit Bajonetten, Krampe und Schaufeln Zugeständnisse abgetrotzt und die am 15. März und 25. April von Seiner Herzensgüte gewährte Constitution vernichtet hatte; die Mißachtung der Gesetze, die Verfolgung der Priester, womit selbst der ehrwürdige und greise Erzbischof Wiens nicht verschont blieb; die Störungen der Abendruhe durch Katzenmusiken, die Verletzung des häuslichen Asyls und Gewaltthätigkeiten aller Art hatten die Haupt- und Residenzstadt mit Bangigkeit, ja mit entsetzen erfüllt. Der furchtbarste Mißbrauch der Preßfreiheit hatte durch Lüge, Verläumdung und unablässiges erhitzen der Leidenschaften die Gutmüthigkeit des Volkes und sein gesundes Urtheil umgewandelt - Land, Stadt und Menschen waren nicht mehr zu erkennen, und allgemeines Verderbniß stand vor den Augen der Bessergesinnten, deren Zahl freilich nicht gering, deren Muth aber eben so klein und thatenlos war, als die Schlechten und Aufrührerischen, welche in dem allgemeinen Umsturz zu gewinnen hofften, sich rührig und gewandt bewiesen.
VI.
Die Lichtmacher

Ein armer Mann, der unschuldig viele Jahre in einem dunkeln Kerker gesessen, wurde freigesprochen. Aber da zeigte sich, daß seine Angst durch die immerwährende Dunkelheit des Gefängnisses blöde geworden und er beinah erblindet sei. Der Arzt erklärte, daß frei eLuft und Licht seine Augen nur heilen könnten. Anfänglich zuckte der Patient schmerzlich, als das helle Sonnenlicht auf sein leidendes Antlitz fiel, aber von Tag zu Tag besserte sich das Uebel. Da meinte ein thörichter Mensch, wenn Licht solche Besserung erzweckte, müsse vermehrtes künstliches Licht die schnellste Heilung bewirken. Er stellte daher den Blödsichtigen an das Fenster, hält ihm gegenüber einen Spiegel, und wirft mit Einer Wendung in der Schnelligkeit des Blitzes den schneidenden Abglanz des Sonnenstrahls auf das kranke Auge. Aber mit einem Schrei des Entsetzens stürzt der Getroffene zu Boden, und mit seinen Augen stand’s schlimmer als jemals.
*
Einen solchen Spiegellichtmacher erkenne ich in dem radikalen Schriftsteller. Licht ist Wohlthat, Licht ist Segen für jedes äußere, wie für das Seelenauge. Aber wer lange im Finstern getappt, sollte von verständigen Führer **) erst an die freie Tageshelle mit Sorgfalt gewöhnt werden, um richtig zu sehen, um sich der Wunder der Schöpfung in ihrer Klarheit und Würde zu freuen. Aber leidige Spiegelfechterei vor seinen Augen treiben, heißt sein Gesicht trüben für immer; und wer das reine Seelenauge tödtet, übt ein schrecklicheres Verbrechen, als jener teuflische Bettler, der geraubte Kinder aus Habgier mit glühendem Drahte blendet!

J.S.Ebersberg: Politische Fabeln … (1849)

*) ein Beispiel dafür, wie sehr der Antisemitismus im 19. Jahrhundert alle gesellschaftlichen Schichten durchdrungen hatte.
**) Kaum hundert Jahre später entpuppt sich ein Führer als der große Blindmacher überhaupt.

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