Donnerstag, 16. September 2010

Der Brahmane als Gans

Bildquelle: Wikipedia

»Höre«, sagte die Ehefrau zu ihrem Mann. »Morgen bin ich zu einem Fest eingeladen. Bring mir einen Kranz von blauen Lotusblumen. Mir ist es gleich, woher du die beschaffst. Bringst du sie nicht, so verlasse ich dich.«

Da der Mann sehr an seiner Gattin hing und ihr alles durchgehen ließ, begab er sich an den königlichen Teich und versuchte, blaue Lotusblumen zu stehlen, die in Indien damals noch selten waren. Dabei wurde er aber von den Wächtern erwischt. Befragt, wer er sei, antwortete er »Ich bin eine Gans«. Das half ihm jedoch nicht, man nahm ihn fest, warf ihn in den Kerker und führte ihn am nächsten Morgen vor den König. Dort schrie er laut wie eine Gans und antwortete nicht auf die Fragen, die man ihm stellte.

Da hieß der König allen zu schweigen, drang selbst in den Mann und erfuhr so nach und nach alles. Er empfand Mitleid mit dem Gatten der harten Ehefrau und ließ ihn laufen.

Horst-Dieter Radke
(nacherzählt nach einer Übersetzung von Dr. Hans Schacht, Lausanne, 1918)

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