Dienstag, 19. Januar 2010

Bellerophon und Pegasos


Bildquelle: Wikipedia

Pegasos war ein geflügeltes Roß, welches, kaum entstanden, sich zu den himmlischen Wohnungen der Götter emporschwang. Hier nahm es der Gott des Himmels, Zeus, an seinen Wagen, mit dem er donnernd über die Wolken hinfuhr, und aus den Hufen sprühten feurige Blitze. Eine spätere Fabel erzählt: Pegasos weidete wild an den Quellen bei Korinth. Bellerophon, ein edler Jüngling aus dieser Stadt, bemühte sich lange vergebens, das Thier zu bändigen. Endlich, als er einst in dem Tempel der Minerva schlief, erschien ihm im Traume die Göttin und überreichte ihm einen goldenen Zügel. Der Held erwachte, fand den Zügel, beschlich das aus dem Quell trinkende Pferd, warf ihm den Zaum über, und schwang sich glücklich hinauf. Davon wurde das Thier Pegasos, d.i. Quellpfed, genannt. Mit andern Worten: man kannte schon lange das Pferd, ehe man es zu zügeln vermochte. Endlich erfand ein Jüngling die Kunst, es zu bändigen. Er machte sich einen Zaum, bemächtigte sich des Thieres, als es trinkend ihn nicht bemerkte, und bändigte es durch das Gebiß. – Aber Bellerophon wurde bald übermüthig. Er schwang sich mit dem Flügelpferde in die Luft und strebte zum Himmel empor. Die Götter, welche jeden Uebermuth rächen, schickten eine Bremse, die das Thier stach, und dieses warf hochaufbäumend, den stolzen Jüngling herab, der kaum mit dem Leben davon kam. Pegasos aber schwang sich wieder zum Wohnsitze der Götter empor, und diente dem Zeus, bis Eos, die Göttin der Morgenröthe, ihn sich vom Zeus ausbat. Sie spannte ihn vor ihren Wagen, und jeden Morgen fuhr sie mit ihm den Himmel hinauf. Eine andere spätere Dichtung sagt: Einst forderten die Töchter des Königs Pieros die Musen zum musikalischen Wettstreit auf. Auf dem Helikon wurde er gehalten. Als die Mädchen sangen, verfinsterte sich die Luft vor den Mißklängen ihrer Stimmen. Nun aber begannen die Musen, und ihr Gesang war so himmlisch, daß Himmel und Erde hoch aufhorchten, die Sterne ihren Lauf hemmten, um zu hören, und das Meer und die Flüsse lauschend still standen. Ja der Helikon schwoll vor Wonne immer höher und höher auf, so daß dem Poseidon, dem Gotte des Meeres, bange wurde, der Berg möchte zuletzt gar den Himmel erreiche. Darum schickte er den Pegasos herab, dem Steigen des Berges zu wehren. Das that auch das Pferd. Es stampfte mit mächtigem Hufschlage auf die Spitze des Helikon, der nun stillstand. Aber es entsprang aus dem Hufschlage eine Quelle, die Hippokrene, von deren Wasser alle die, welche daraus tranken, begeistert wurden.


Friedrich Nösselt
Lehrbuch der griechischen und römischen Mythologie
für höhere Mädchenschulen und die
Gebildeten des weiblichen Geschlechts
Leipzig 1828

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