Dienstag, 30. Juni 2009

Eine Fabel ist ja keine Predigt

CLEON. Also kannst du mir weiter nicht helfen und sie nicht überreden?

DER MAGISTER. Es gibt noch gewisse witzige Beweise zur Überredung, die man Beweise kai hans ôpon nennen könnte. Dergleichen sind bei den alten Rednern die Fabeln und Allegorien oder Parabeln. Bei Leuten, die nicht scharf denken können, tun diese witzigen Blendwerke oft gute Dienste. Ich will sehen, ob ich durch mein Ingenium das ausrichten kann, was sie meinem Verstande versagt hat. Vielleicht macht ihr eine Fabel mehr Lust zur Heirat als eine Demonstration. Ich will eine machen und sie ihr vorlesen und tun, als ob ich sie in einem Fabelbuche eines jungen Menschen in Leipzig gefunden hätte, der sich durch seine Fabeln und Erzählungen bei der Schuljugend so beliebt gemacht hat.

CLEON. Ach ja, das tue doch, damit wir alles versuchen. Wenn die Fabel hübsch ist: so kannst du sie gleich auf meiner Tochter Hochzeit der Welt mitteilen. Mache nur nicht gar zu lange darüber. Eine Fabel ist ja keine Predigt. Es muß ja nicht alles so akkurat sein. Meine Tochter wird dich nicht verraten. Mache, daß sie Ja spricht: so will ich dir ohne Fabel, aber recht aufrichtig danken.

Der Magister geht ab.


Christian Fürchtegott Gellert
Die zärtlichen Schwestern
1. Aufzug

Montag, 29. Juni 2009

Erziehung


Kirschen blühen wieder,

Dornen selbst daneben,
und auf nackte Reben
sehn sie höhnend nieder.

Nun die Armen weinen,
ruft die Sonn: »Ihr Kleinen,
sollt mir nicht verzagen!
Wer noch späten Tagen
Segen will ertheilen,
darf nichts übereilen.«

Abraham Emanuel Fröhlich

Sonntag, 28. Juni 2009

Empfindsam, wie Homer gewesen …


Erfindsam, wie Homer gewesen.

Er schrieb nicht bis ins Stufenjahr,
Nicht viel, nichts auf Befehl, nichts eilig.
Wie ihm die Wahrheit heilig war,
So war ihm auch die Sprache heilig.
Sich selbst zum Lobe redt' er nie,
Doch litt er andrer Stolz und Träume,
Sprach selten von der Poesie,
Noch gegen oder für die Reime.
Er war voll weiser Sittsamkeit,
Drum ward er keiner Secte Götze,
Und hinterließ der Folgezeit
Zwar Muster, aber nicht Gesetze.
Nur Wasser trank er, und nicht Wein.
Von Schönen liebt' er nur die alten:
Blos ihrer Seelen Freund zu sein,
Und sich des Busens zu enthalten.
Er starb, und ließ, eh' er verschied,
Ein Buch, das er gemacht, verbrennen,
So sehr auch sein Verleger rieth,
Das Werk der Welt und ihm zu gönnen.


Illias und Odysee als gemeinfreie Hörbücher bei LibriVox

Freitag, 26. Juni 2009

Wie der Kranich dem Fuchs das Fliegen lehrte


Einmal, als der Kranich zum Winter dageblieben war, begegnete ihm der Fuchs und sagte zu ihm: »Nun, Kranich, wie lebst du denn?« Dieser antwortete: »Je nun, wie soll ich denn leben? Viel zu fressen gibt es nicht.« Da sagte der Fuchs: »Willst du mich fliegen lehren, so will ich dich den ganzen Winter durchfüttern.«

Der Kranich war mit diesem Vorschlag zufrieden, und der Fuchs ernährte ihn den Winter über; doch als es Sommer wurde, verlangte der Fuchs den ausbedungenen Lohn.

»Gut«, sagte der Kranich, »setz dich auf meinen Rücken.«

Darauf erhob sich der Kranich mit dem Fuchs in die Lüfte und flog und flog hoch hinauf. Plötzlich ließ er jedoch den Fuchs von seinem Rücken hinabfallen, so daß der Arme auf die Erde stieß und sich ein Bein brach. Dann ließ sich auch der Kranich aus den Lüften nieder und fragte:

»Nun, Fuchs, wie gefällt dir das Fliegen?«

»Ach«, sagte der Fuchs, »hübsch ist es sonst, nur hab' ich mir dabei das Bein gebrochen.«

»Nun, hast du's gebrochen, so mag es gebrochen sein!« meinte der Kranich.

Löwis of Menar, August von
aus: Finnische und estnische Volksmärchen
Jena, 1922

Donnerstag, 25. Juni 2009

Marktplatz Parabel

Nachdem bekannt wurde, dass auf dem Marktplatz Kinder bestialisch gefoltert, misshandelt und vergewaltigt werden, hat der Stadtrat beschlossen, die Menschen daran zu hindern, den Marktplatz zu betreten. Entsprechende Halt-Schilder wurden auf allen Zugängen zum Marktplatz angebracht. Ignoriert jemand diese Schilder und geht weiter, so ist die Polizei angehalten, ihn nicht daran zu hindern. Sollte die Person allerdings Fotos machen, so sei sie sofort zu verhaften. Dem Treiben Einhalt zu gebieten - so die Frage einer Stadträtin - wäre nicht möglich, da man nicht über ausreichende Einsatzkräfte verfüge.

Horst-Dieter Radke

Mittwoch, 24. Juni 2009

Wenn Fabel erst das alte Recht gewinnt

Nicht lange wird der schöne Fremde säumen.
Die Wärme naht, die Ewigkeit beginnt.
Die Königin erwacht aus langen Träumen,
Wenn Meer und Land in Liebesglut zerrinnt.
Die kalte Nacht wird diese Stätte räumen,
Wenn Fabel erst das alte Recht gewinnt.
In Freyas Schoß wird sich die Welt entzünden
Und jede Sehnsucht ihre Sehnsucht finden.

Novalis
aus: Heinrich von Ofterdingen

Dienstag, 23. Juni 2009

Der Falke


Des einen Glück ist in der Welt des andern Unglück. Eine alte Wahrheit, wird man sagen. Die aber, antworte ich, wichtig genug ist, daß man sie mit einer neuen Fabel erläutert.

Ein blutgieriger Falke schoß einem unschuldigen Taubenpaare nach, die sein Anblick eben in den vertrautesten Kennzeichen der Liebe gestört hatte. Schon war er ihnen so nah, daß alle Rettung unmöglich schien; schon gurrten sich die zärtlichen Freunde ihren Abschied zu. Doch schnell wirft der Falke einen Blick aus der Höhe, und wird unter sich einen Hasen gewahr. Er vergaß die Tauben; stürzte sich herab, und machte diesen zu seiner bessern Beute.

Gotthold Ephraim Lessing

Montag, 22. Juni 2009

Fabelei

Gemeint ist damit das Ausdenken und Erzählen von Geschichten ohne Wahrheitswert, zur Unterhaltung gedacht:
  • Es war aber eitel fabelei zur Kurzweil ausgedacht (Musäus)
  • Doch Euer Merkur und Jovis Glanz und Venus, das alles ist nur fabelei (Tieck)
Der Ausdruck steht damit aber im Widerspruch zur eigentlichen Fabel, die zwar keinen Wahrheitswert, aber einen moralischen Wert transportieren und keineswegs allein der Unterhaltung dienen soll(te).

Horst-Dieter Radke

Sonntag, 21. Juni 2009

… dass die Wesenheiten ewig sind

Quelle: Wikipedia

Philalethes: Wenn die Wesenheit etwas anderes wäre als eine abstrakte Vorstellung, so würde sie nicht unerschaffbar und unvergänglich sein. Ein Einhorn, eine Sirene, ein vollkommener Kreis sind vielleicht gar nicht in der Welt vorhanden.

Theophilus: Ich habe Ihnen schon gesagt, daß die Wesenheiten ewig sind, weil dabei bloß von Möglichkeiten die Rede ist.

Gottfried Wilhelm Leibniz
aus: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand

Samstag, 20. Juni 2009

Einheit der Fabel und dramatische Gestaltung

Von der erzählenden aber und in Hexametern nachahmenden Poesie ist klar, daß die Fabeln wie in den Tragoedien dramatisch gestaltet werden und sich um eine einzige vollständige und vollendete Handlung drehen müssen, welche Anfang, Mitte und Ende hat, auf daß sie, wie ein einziges organisches Ganzes, die ihr eigenthümliche Ergötzung gewähre, und daß der Plan nicht der Geschichtschreibung gleich sein muß, bei welcher natürlich nicht Darlegung einer Handlung, sondern eines Zeitlaufs Aufgabe ist, was nämlich in diesem in Bezug auf einen oder mehrere sich zutrug, wo dann das Einzelne nur zufällig mit einander in Beziehung steht.

J.A. Hartung
Lehren der Alten über die Dichtkunst
Durch Zusammenstellung
Mit denen der besten Neueren
Hamburg und Gotha, 1845

Freitag, 19. Juni 2009

Fabel


(Für zukünftige Kritiker, die jetzt noch Kinder sind.)

Lau die Luft, Glück und Glanz;
Surre, surre, sum
Falter- und Libellentanz;
Surre, surre, sum.

Brummt die braune Hummel her;
Brum, brum, brum
Trägt an ihrem Pelze schwer;
Brum, brum, brum.

Falter und Libellen fort
In den Sonnenschein.
Hummel brummt: »Wo sind sie?« - Dort!
Hummel hinterdrein.

Falter und Libellen sind
Glücklich in dem Licht.
Hummel wird vor Sonne blind,
Licht verträgt sie nicht.

Ach, wie ist der Pelz so dick!
Ach, es geht nicht mehr!
Hummel fällt und bricht's Genick,
Kommt zu Falle schwer.

Wieder weht herein der Tanz,
Surre, surre, sum
Falter- und Libellenkranz
Surre, surre, sum.

Die Moral von der Geschicht'?
Surre, surre, sum
Wer's nicht weiss, kapiert's auch nicht.
Brum, brum, brum.

Otto Julius Bierbaum

Donnerstag, 18. Juni 2009

Sonne, Mond und Sterne


Es ist leicht begreiflich, daß von Sonne, Mond und Sternen, vom Himmelsgewölbe von kosmischen und tellurischen elementaren Erscheinungen örtlicher Ueberlieferungen, von welchen letzteren wir hier doch hauptsächlich handeln, keine große Anzahl Sagen vorhanden sein können. Ungleich häufiger, als Mythe und Sage, hat die Fabel auf solche Bezug genommen, …

Ludwig Bechstein
in: Mythe, Sage, Märe und Fabel
im Leben und Bewußtsein des deutschen Volkes
Dritter Teil, Leipzig 1855

Mittwoch, 17. Juni 2009

Das kackende Kamel


Ein Wasser, welches reißend strömt, hindurch watet
Ein buckliges Kameel, und kackt, und sieht vornen
Vor sich den Unrath fließen. »Weh, mir geht’s übel!
Das Hint’re, sprach es, seh’ ich vornen hinkommen!«

Johann Adam Hartung
aus: Babrios und die älteren Jambendichter
Leipzig, 1858

Dienstag, 16. Juni 2009

Parabel vom Eulenspiegel und den Schneidern


Unter vielen löblichen Thaten,
Die Eulenspiegels Witze gerathen,
Ist eine von sondrer Lehr und Nutzen,
Wie er die Schneider zurecht thät stutzen.
Nach Rostock, der berühmten Stadt,
Beschied er sie zu gemeinem Rath,
Er woll' ihnen etwas offenbaren,
Auf ewige Zeiten zu bewahren,
Daß jeder es auf die Seinen vererbe,
Eine große Sach für ihr Gewerbe.
Durch ein Ausschreiben gab er Kunde
Den wendischen Städten in die Runde,
In Holstein, Pommern, bis Stettin
Nach Wismar, Lübeck und Hamburg hin.
Die Schneider kamen in hellen Haufen
Von ihren Werkstätten hergelaufen;
Bracht' jeder Scheer', Elle, Nadel und Zwirn,
Und plagt' im voraus drob sein Gehirn,
Was er doch Neues hätt' ersonnen,
Das sie noch nicht gewußt, noch begonnen.
Als sie nun warteten auf dem Platz,
Stieg Eulenspiegel, der schlaue Fratz,
Frei hinauf in ein hohes Haus,
Und schaute oben zum Fenster hinaus.
Ehrbare Meister vom Schneidergewerke,
So sprach er, jeder hör' und merke:
Habt ihr Scheer', Ell' und Nadel gut,
Dazu noch Zwirn und Fingerhut,
So habt ihr zu eurem Handwerk genug;
Das schafft sich jeder mit gutem Fug.
An allem dem ist keine Kunst,
Nur Eines, bitt' ich, bemerkt mit Gunst.
Wenn ihr die Nadel habt eingeöhrt,
So macht einen Knoten, wie sich's gehört,
An's andere Ende des Fadens recht,
Daß ihr umsonst viel Stiche nicht stecht.
Denn, wenn ihr nicht den Knoten knüpft,
Der Faden euch durch das Tuch hinschlüpft;
So bringt ihr nimmer zu Stand die Nath:
Vergeßt es nicht, dieß ist mein Rath.
Die Schneider sahen einander an,
Sprach jeder zu seinem Nachbarsmann:
Was ist das für eine Phantasei,
Daß er uns ruft so weit herbei?
Schon lange wußten wir diese Kunst,
Unsre Reise war gar umsunst.
Der Schalksnarr, als er dieses sah,
Sprach: Was vor tausend Jahren geschah,
Des ist oft niemand eingedenk;
Drum seiner Mühe sich keiner kränk'.
Auch meint' er, sollten sie sich schämen,
Statt Danks mit Unwillen aufzunehmen
Die Treu, so er zum Handwerk trüge.
So schlich er sich fort auf neue Züge.
Die Schneider schalten zwar mit Recht
Auf Eulenspiegel, den schlimmen Knecht,
Doch wollt ihr erwägen des Spruches Sinn,
So bringt er vielleicht euch noch Gewinn.
Ich weiß wohl manchen, dem's thät vonnöthen,
Daß wir nach Rostock ihn entböten,
's giebt Leute, die ihr alle kennt,
Der Weltweisheit Lehrer man sie nennt,
Die sind in diesen Tagen bemüht,
Wo Wißenschaft und Kunst erblüht,
Aus mancherlei Lappen von geistigen Kleidern
Dem alten Adam 'nen Rock zu schneidern.
Sie nehmen die Brille nach Schneiderart
Vor die Augenbraunen, struppig behaart,
Sie kauern auf einem Tische hoch,
Und stecken die Füße durch das Loch,
Sie halten die Nadel zur Nasenspitze,
Um recht zu treffen die schmale Ritze,
Sie ziehn den Faden hindurch gar fein,
Das Knötlein vergeßen sie allein.
So näh'n sie, daß ihnen der Schweiß ausbricht,
So will die Nath doch fördern nicht,
Und nimmer will sich der Mantel gestalten,
Der Leib und Seele zusammen soll halten.
Die Nadel heißet Logica,
Der Faden Metaphysica,
Und was sothanes Knötlein bedeute,
Das merken nun schon die gescheiten Leute.
Die Weltweisen aber spüren's nicht,
Weil's ihnen an tüchtigem Sinn gebricht.
O Eulenspiegel, weiser Narr!
Schau auf der heutigen Welt Wirrwarr.
Kannst du vom Grab' erstehn, so komm,
Und mache durch Spott die Narren fromm.

August Wilhelm von Schlegel
Leipzig 1846

Montag, 15. Juni 2009

Parabel

Beilfleck-Widderchen

(Herrn Franz von Lenbach zugeeignet.)

Herr Lehmann wollt sich malen lan,
Hub drum zu Lenbach z'reden an:
»Herr Meister, Ihr sollt mich konterfein!
Doch solls ein feines Bildnus sein:
Ein Bild voll Schönheit, Geist und Kraft,
Ein Ehrenmal der Lehmannschaft.
Mein treues Auge, deutsch und blau,
Daß es recht gottesfürchtig schau!
Meiner Lippen roter Bogenschwung
Verrate heilge Begeisterung
Für alles, was da groß und wahr:
Baut meine Stirne hoch und klar,
Und laßt die Locken golden wallen!
Meine Nase soll meiner Frau gefallen
(Sie liebt die langen, graden, schmalen):
Was Ihr verlangt, ich wills bezahlen.«

Der Meister durch das Brillenrund
Schaut nieder auf Herrn Lehmann und
Er spricht:
»Herr Lehmann, Euer wohledel Gesicht
Eignet sich zu einem Adonis nicht!
Ihr seid ein guter Lehmann zwar,
Doch ein Apoll nicht eben gar.
Euer Auge blickt ein wenig schiel,
Eure Nase staunt zum Himmel zu viel,
Eurer Locken blonden Scheitelkranz,
Die Zeit hat ihn gelichtet ganz.
Ihr seid ein Bürger unzweifelhaft bieder,
Doch Eure Stirn ist gedrückt und nieder,
Auch geht Eurer Lippen Schwung die Quere –
Herr Lehmann, ich bedaure sehre.«

Groß sah den Meister Herr Lehmann an,
Dacht bei sich: Das ist ein grober Mann!
Ist auch von den Realisten verdorben;
Der Idealismus ist ausgestorben.
Oh, diese Zeiten, diese krassen!
Kein Biedermann kann sich mehr malen lassen.

Otto Julius Bierbaum
aus: Irrgarten der Liebe, 1901

Samstag, 13. Juni 2009

Hildegard und das Einhorn

Quelle: Wikipedia

Das Einhorn gehörte zur mittelalterlichen Vorstellungswelt derart, dass es in Beschreibungen und auf Bildern so vorkommt und dargestellt wird, das kein Zweifel an seiner Existenz erkennbar ist. Ein gutes Beispiel liefert dafür auch Hildegard von Bingen (1098 - 1179). In Ihrem Werk Physica (das ihr allerdings nicht zweifelsfrei zugeschrieben werden kann) berichtet sie, dass das Einhorn (unicornus) eher kalt als warmblütig sei, es eine große Stärke habe und den Menschen fliehe. Lediglich Mädchen nähere es sich, wenn diese adliger und nicht bäuerischer Abkunft seien und am Beginn des Erwachsenenalters stehen. Blondhaarige und kussbereite würden vom Einhorn besonders bevorzugt. Auch über die Verwertung des Einhorns gibt Hildegard - oder der Verfasser der Physica - Auskunft: Die pulverisierte Leber, mit Eigelb gemischt, ergäbe eine Salbe, die jede Art von Aussatz heile, es sei denn, Gott hätte etwas dagegen. Ein Gürtel aus der Haut des Einhorns schütze vor Pest und Fieber und Schuhe aus Einhornleder verleihen gesunde Füße und Gelenke.

Das liest sich heute eher belustigend, aber ich denke, man darf es nicht so absolut sehen sondern eher als Hinweis, wie die Idee des Einhorns im Leben der Menschen verankert war.

Horst-Dieter Radke

(den Hinweis auf diese Stelle über das Einhorn bei Hildegard von Bingen bekam ich von Petra Kopf)

Freitag, 12. Juni 2009

Parabel


Jüngst traf ich einen alten Mann
Und hub ihm vorzusingen an,
Doch an den Mienen des Gesichts
Bemerkt' ich bald, er höre Nichts.

Da dachte ich: der Greis ist taub,
Drum wird dein Lied des Windes Raub,
So thu ihm denn, nicht durch den Mund,
Durch Zeichen Dieß und Jenes kund.

Ich that's, doch ward mir leider klar,
Daß er auch schon erblindet war,
Denn, wie der Frosch aus seinem Sumpf,
Hervor glotzt, sah er dumpf und stumpf,
Und ungestört in seiner Ruh',
Der Sprache meiner Finger zu.

Ich rief: mit dem steht's schlimm genug,
Doch mögt' ich ihm den letzten Zug
Noch gönnen aus dem Lebensquell!
Da reicht' ich ihm die Rose schnell,
Die ich für meine Braut gepflückt,
Allein auch das ist schlecht geglückt,
Ihm schien der Duft nicht mehr zu sein,
Wie einem Gartengott von Stein.

Nunmehr verlor ich die Geduld,
Ich dacht' an meines Mädchens Huld,
Die mir so schmählig jetzt entging,
Da sie die Rose nicht empfing,
Und jagte ihm im ersten Zorn
In's dicke Fell den scharfen Dorn;
Doch bracht' auch dieß ihm wenig Noth,
Er zuckte nicht, er – war wohl todt!

Friedrich Hebbel

Die Parabel

Die Parabel heißt die bildliche Einkleidung einer Sache, um ihre Darstellung anschaulicher zu machen – die Gleichniß-Rede. In der Algebra heißt parabola eine krumme – Kegellinie.

Brockhaus Conversations-Lexikon
Bd. 8. Leipzig 1811, S. 200

Donnerstag, 11. Juni 2009

Der Schatten


Jörgensen, den meine Leser wahrscheinlich kennen, sagt in seiner Parabel Der Schatten zum Dichter: »Sie wissen nicht, was Sie tun, wenn Sie hier sitzen und schreiben und Ihre Seele von der Macht des Weines und der Nacht anschwillt. Sie wissen nicht, wie viele Menschenschicksale Sie durch eine einzige Zeile auf dem weißen Papier umbilden, erschaffen, verändern. Sie wissen nicht, wie manches Menschenglück Sie töten, wie manches Todesurteil Sie unterschreiben, hier, in Ihrer stillen Einsamkeit, bei der friedlichen Lampe, zwischen den Blumengläsern und der Burgunderflasche. Bedenken Sie, daß wir Andern das leben, was Ihr Dichter schreibt. Wir sind, wie Ihr uns bildet. Die Jugend dieses Reiches wiederholt wie ein Schatten Eure Dichtung. Wir sind keusch, wenn Ihr es seid; wir sind unsittlich, wenn Ihr es wollt. Die jungen Männer glauben je nach Eurem Glauben oder Eurer Verleugnung. Die jungen Mädchen sind züchtig oder leichtfertig, wie es die Weiber sind, die Ihr verherrlicht.«

Jörgensen hat hier vollständig Recht. Seine Ansicht ist ganz die meinige. Ja, ich gehe sogar noch weit über die seinige hinaus. Der Dichter und Schriftsteller hat einen weit größern, entweder schaffenden oder zerstörenden, reinigenden oder beschmutzenden Einfluß, als die meisten Menschen ahnen. Wenn es wahr ist, was die neuere Psychologie behauptet, nämlich »Nicht Einzelwesen, Drama ist der Mensch«, so darf man die Tätigkeit des Schriftstellers unter Umständen sogar eine schöpferische, anstatt nur eine schaffende nennen.

Karl May
aus: Mein Leben und Streben

Mittwoch, 10. Juni 2009

Eine Parabel


Es war eine Zeit, wo die Menschen sich mit dem, was die Natur brachte, behelfen, und von Eicheln und andrer harter und schlechter Kost leben mußten. Da kam ein Mann, mit Namen Osiris, von ferne her und sprach zu ihnen: Es gibt eine bessere Kost für den Menschen, und eine Kunst sie immer reichlich zu schaffen; und ich komme, euch das Geheimnis zu lehren. Und er lehrete sie das Geheimnis, und richtete einen Acker vor ihren Augen zu, und sagte: »Seht, das müßt ihr tun! Und das übrige tun die Einflüsse des Himmels!« Die Saat ging auf und wuchs und brachte Frucht, und die Menschen waren des sehr verwundert und erfreuet, und baueten den Acker fleißig und mit großem Nutzen. In der Folge fanden einige von ihnen den Bau zu simpel, und sie mochten die Beschwerlichkeiten der freien Luft und Jahrzeiten nicht ertragen. »Kommt«, sprachen sie, »laßt uns den Acker regelrecht und nach der Kunst mit Wand und Mauern einfassen und ein Gewölbe darüber machen, und denn da drunter mit Anstand und mit aller Bequemlichkeit den Ackerbau treiben; die Einflüsse des Himmels werden so nötig nicht sein, und überdem sieht sie kein Mensch.« »Aber«, sagten andere, »Osiris ließ den Himmel offen, und sagte: ›Das müßt ihr tun! Und das übrige tun die Einflüsse des Himmels!‹« »Das tat er nur«, antworteten sie, »den Ackerbau in Gang zu bringen; auch kann man noch den Himmel an dem Gewölbe malen.« Sie faßten darauf ihren Acker regelrecht und nach der Kunst mit Wand und Mauern ein, machten ein Gewölbe darüber und malten den Himmel daran. – Und die Saat wollte nicht wachsen! Und sie bauten, und pflügten, und düngten, und ackerten hin und her – Und die Saat wollte nicht wachsen! Und sie ackerten hin und her.

Und viele von denen, die umherstanden und ihnen zusahen, spotteten über sie! Und am Ende auch über den Osiris und sein Geheimnis.

Matthias Claudius

Dienstag, 9. Juni 2009

Parabel


Ich trat in meine Gartenthür,
Drey Freunde kamen, auch wohl vier,
Ich bat sie höflich zu mir ein,

Und sagte sie sollten willkommen seyn.

Da in der Mitte, im heitern Saal

Stünd grade ein hübsches Frühstücksmahl.

Wollte jedem der Garten wohl gefallen,

Darin nach seiner Art zu wollen.

Der eine schlich in dichte Lauben,

Der andere kletterte nach Trauben,

Sein Bruder nach hohen Äpfeln schielt,

Die er für ganz vortrefflich hielt.
Ich sagte: die stünden alle frisch,

Zusammen drinne, auf runden Tisch,

Und wären ihnen gar schön empfohlen.
Sie aber wollten sie selber holen.

Auch war der Letzte wie eine Maus,

Ich glaube zur Hinterthür hinaus;
Ich aber ging zum Saal hinein,
Verzehrte mein Frühstück ganz allein.

J. W. v. Goethe

Montag, 8. Juni 2009

Parabel

Die Frucht, die hoch im Wipfel hing,
Daß sie des Gärtners Blick entging,
Verkehrte lautrer nur in Saft
Die eingesogne Sonnenkraft
Und ward, wie sie zu oberst schwoll,
Zwiefältig edler Süße voll,
Ein Goldball, von des Herbstes Luft
Noch überhaucht mit Purpurduft.
Zuletzt im leisen Windeswallen
Macht sie die eigne Schwere fallen.
Der Gärtner hebt sie auf und spricht:
»Die hatt' ich auch und wußt' es nicht«,
Und legt sie obenauf beim Feste
Als Zier des Mahls für edle Gäste.

Emanuel Geibel
Werke, Band 2
Leipzig und Wien 1918

Sonntag, 7. Juni 2009

Marot und Arot



Marot u. Arot, im Islam zwei Engel, die einst weintrunken eine Frau zur Liebe zwingen wollten, aber überlistet wurden; Muhammed benutzte diese Parabel, um den Genuß des Weins zu untersagen.

Pierer's Universal-Lexikon
Band 10. Altenburg 1860, S. 915

Samstag, 6. Juni 2009

Parabel

Parābel (griech., »Vergleichung«) ist eine Abart des Gleichnisses (s. d.) und unterscheidet sich von diesem einerseits durch die größere Ausführlichkeit, anderseits durch die didaktische Tendenz. Diese letztere findet sich auch in der Fabel (s. d.); aber die Fabel, die sich zu einer besondern poetischen Gattung ausgewachsen hat, bezweckt die allgemeingültige Darlegung einer sittlichen Wahrheit, während die P. die Anwendung auf einen besondern Fall ins Auge faßt. Musterparabeln sind die neutestamentlichen »Gleichnisse« (z. B. vom verlornen Sohn); eine berühmte P. des Altertums ist die des Menenius Agrippa, die das soziale Verhältnis der Bürger im Staate durch das analoge Verhältnis der Leibesglieder zum Lebenszentrum illustriert (s. Menenius Agrippa).

Meyers Großes Konversations-Lexikon
Band 15. Leipzig 1908, S. 412-413.

Freitag, 5. Juni 2009

Die Erde sah …


Die Erde sahe jüngst der Lüfte schönes Blau,

Mit einem kleinen Neid, halb eifersüchtig an,

Und sprach: stoltzire nur, mit deinem blauen Licht,

So übermüthig nicht,

Weil ich so wohl, als du, dergleichen zeigen kann.

Schau mein Ultramarin; betrachte, wie der Pfau

Im blauen Schimmer prangt; schau den Sapphir. Vor allen

Kann ich dir der Gentianellen

Fast blendend Blau entgegen stellen.

Ihr voller Glantz muß dir,

Trotz deiner blauen Zier,

Noch mehr, als du dir selbst gefallen kannst, gefallen.


Die Luft nahm diesen Hohn für kein Verhöhnen an;

Vielmehr besahe sie, vergnügt und sonder Neid,

Von diesem schönen Frühlings-Kinde,

Das dem Sapphir fast gleiche Kleid,

Und lispelte darauf gelinde

Der Erde diese Worte zu:


Ich sehe deinen Schmuck nicht sonder Freuden.

Warum besiehest du

Den meinen nicht auf gleiche Weise?

Laß uns doch, ohn' uns zu beneiden,

Uns, da wir alle beyde schön,

Mit Freud' und Anmuth, Dem zum Preise,

Der unser aller Quell und Ursprung ist, besehn!

Laß uns vielmehr uns in die Wette schmücken;

Damit, wenn Geister uns erblicken,

Die mit Verstand begabt, durch ein erstaunt Entzücken,

Sie in uns beyden GOTT, die Quell des Lichts, erhöhn.

Denn, sonder Glantz und Strahl Desselben Sonnen-Lichts,

Sind wir, nicht nur nicht schön; wir sind ein wircklich Nichts.


Laß deine schöne blaue Bluhme

Denn künftig, zu des Schöpfers Ruhme,

In einem blauen Feuer blühen:

Ich will, wie vor, zu seiner Ehr',

Und zwar noch immer mehr und mehr,

In meinem blauen Schimmer glühen.


Barthold Heinrich Brockes

Donnerstag, 4. Juni 2009

Fabel- und Mythen-Park

In der sächsischen Schweiz gibt es einen Fabel- und Mythenpark in dem seltsame Skulpturen in einem 15.000 qm großen Gebiet zum erwandern und betrachten einladen.

Mittwoch, 3. Juni 2009

Raupe und Schmetterling


Es wundert dich, dass ein so garstig Ding,
als eine Raupe ist, zum schönsten Schmetterling
in wenigen Wochen wird - mich wundert's nicht,
denn wiss', auch manche Schöne kriecht
als Raupe morgens aus dem Bette
und kömmt' als Schmetterling von der Toilette …

Dienstag, 2. Juni 2009

Der Maienkäfer


Bathyll, ein kleiner Schäfer

Fing einen Maienkäfer,
Band ihn an eine Schnur
Und schrie: »Flieg’ auf mein Thierchen!
Du hast ein langes Schnürchen
An deinem Fuß; versuch’ es nur!«

»Nein,« sprach er, »laß mich liegen!
Was hilft’s, am Faden fliegen?
Nein, lieber gar nicht frei!
Im vollen Flug’ empfinden,
Daß uns Despoten binden,
Freund, ist die härt’ste Sklaverei.«

aus: Auswahl von Fabeln
für die Jugend mit 16 Bildern (1832)

Montag, 1. Juni 2009

Moralische Fabeln


Aus der Vorrede des Verfassers:

Ich habe in der Einleitung zu meinen moralischen Gedanken verschiedene Arten bemerket, deren sich die Skribenten im Moralisiren bedienet haben, und zugleich gewiesen, daß keine Art unschuldiger und zugleich kräftiger sey, als der Gebrauch der Fabeln …

Moralische Fabeln mit beygefügten Erklärungen einer jeden Fabel
Aus dem Dänischen des
Herrn Barons von Holberg
übersetzt durch J.A.S.K.D.E.

Leipzig 1752