Mittwoch, 16. Dezember 2009

Die Lichtscheuen - Dritte Fabel

Nach Vater Uhu’s Abschiedssegen,
Fing an der Rathkreis sich zu regen:
Da schlau hervor ein Käuzlein trat,
Und freundlich um ein Wörtchen bat:

Wir Münsterchorherrn sind dem König,
Wie Laien, sagt’ es, unterthänig,
wenn er in Obhut Kirch’ und Staat
Pflichtmäßig trägt. Jedoch ein wenig,
O Patriarch, nach deinem Rath,
Die Sonnensucht durch lindes Schröpfen
Und Aderlaß ihm auszuschöpfen,
Kann heilsam sein für Kirch’ und Staat.
Nur auszuführen etwas mißlich
Scheint, Vater Uhu, mir dein Rath.
Scharfschnablich sind und saugerüßlich
Geißmelker und Vampyr gewißlich.
Doch wenn der Schein nicht trüget, hat
Argwohn der Fürst aus alter That.

Nun, ruft der Uhu, was bedeutet
Dein Nur und doch? Rein ausgeläutet!

Das Käuzlein senket Schwing’ und Haupt_
Ehrwüprdiger! ist mir erlaubt,
Die schlaue Demuth zuentzügeln,
Und deiner Weißheit vorzuklügeln?

Laß, Vater, die Verirrten heim
Durch Freundlichekit und süße Brocken
Aus Sonnenbrand’ in Schatten locken,
Wenn nicht vor Augen, doch geheim.
Mißlingt es was nur unerschrocken!
Wo anders treibt der Same Keim,
Im Herzen dort und dort im Kopfe.
Wer scharf nur zielt nach Korn und Knopfe,
Der trifft: so sagt ein alter Reim.
Mein kluger Gimpel, hold dem Kropfe,
Mit schwarzem Käppchen auf dem Schopfe,
Wird leicht durch vollen Trog gerührt,
Und bald als Dompfaff eingeführt.
Unschuld und Einfalt körnt den Täuber,
Und ach! Empfindsamkeit der Weiber;
Den Wendehals lockt Nackendrehn,
Und reger Frömmigkeit Gestöhn;
Die Schwalbe wählt die stillen Dächer
Des Doms, und stille Mauerlöcher;
Ein Ball im Kirchthurm freut den Spatz,
Den Raben ein gefundner Schatz;
Für Dohl’ und Elster wird Belohnung
Im Münster freie Kost und Wohnung;
Für Specht und Staar, Kibitz’ und Krähn
Weissagerkund’ und Geistersehn;
Dem Kukuk, der sich gerne schmeichelt,
Wird laut Bewunderung geheuchelt.
Gewännen wir die Nachtigall;
Nachtvögel sähn wir überall,
Verkehrt durch ihren Zauberschall!

Geh! spricht der Uhu, feurig lächelnd,
Mit regem Fittig Heil ihm fächelnd.

Das Käuzlein fliegt zum nahen Hain,
Wo, unter zartem Laub’ allein,
Tonreich der tiefbewegten Seele
Wehmuth und Wonn’ aus heller Kehle
Ergeußt die sanfte Philomele:
Daß nachempfindet Flur und Hain,
Im dämmerlichen Mondenschein;
Daß kaum ein Pappelblättchen rauschet,
und still der Wandrer steht, und lauschet,
Und im Gedüft hellgrüner Main
Zu wonnetrunkenem Verein
Jungfrau und Jüngling Herzen tauschet.

Nachdem, mit wahrer Rührung fast,
Das Käuzlein sie vom nahen Ast
Lang’ angehört und betrachtet:
Ach! seufzt es, welch Entzücken schmachtet,
Wie hebt der Andacht Schwung sich kühn
Aus deinem Herzen, wann es nachtet!
Wie hallt in Wonnemelodien,
Worauf des Menschen Ohr auch achtet,
Die ahndungsvolle Phantasei,
Vom Gaukelspiel der Sinne frei!
Weh ihm, wer Einsicht und Ergründung
Am klaren Sonnenlicht verlangt,
Unwert der dämmernden Empfindung,
Wovon, bei alles Trugs Verschwindung,
Das Herz uns kindlich wogt und bangt!
O knüpftest du zur Überwindung
Des frechen Wahns mit uns Verbindung!
Komm, Seelenschwester! Wir vertraun
Das Amt dir, hoch von Zinn’ und Mauer
Des Domes, nächtlich zu erbaun,
Durch Nachtgeheimniß, voll von Schauer
Wohlthätiger Zerknirschungstrauer!
Bald dankt für wundersame Ruh’
Dir aller Lüfte Volk, wenn du
Zurück von eitlem Thun es bringest,
Und, dienstbar unserm Erzuhu,
Mit lieblich schmelzendem Lulu
In Schlaf und holde Träume singest!

Mir, sagt Aedon, solch Vertraun?
Ich singe Lieb’, ihr heulet Graun!



Johann Heinrich Voss

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