Mittwoch, 23. Dezember 2009

Die Elster und die Taube



Einer Taube war es eingefallen,
Neben einer Elster ihren Sitz
Aufzuschlagen; doch, ein Bild zu malen,
Wie sie lebten, ist zur Zeit unnütz.
Freilich sonderbar
War die Wahl, fürwahr!
Doch man kennet ja der Taube Witz.


Liebe herrschte nur im Nest der Taube,
Und Zufriedenheit und stilles Glück;
Bei der Elster schreit man stets vom Raube
Ihrer Eier und von Mißgeschick.
Auf die Nachbarin
Kehrt die Taube hin
Ungern nur den liebevollen Blick.


Wenn die Elster Schläge von dem Gatten
Als der Liebe Unterpfand bekam,
Wenn sie Zank und Streit zusammen hatten,
Eilet sie sogleich, von Schlägen lahm,
Zu der Taube, klagt,
Was sie oft gesagt,
Schimpft und weinet laut vor bitterm Gram.


Ihres Gatten Fehler herzuzählen,
Macht ihr Freude, und sie nennt ihn roh,
Stolz und hart; wenn er sie könne quälen,
Wie es ihm gefalle, sey er froh;
Nebstdem plag’ ihn noch
Eifersucht und doch,
Wenn er eine Krähe sähe, so …


Doch genug! mit hundert solchen Sachen
Fällt sie ihrer Nachbarin zur Last
Und sie hört beinah nicht auf zu klagen.
»Aber« – fragt darauf die Taube – »hast,
Freundin! du nicht auch,
Wie es ist der Brauch
In dem Leben, deiner Fehler Last?«


»Ei, gewiß! ich will sie dir bekennen
Leichtsinn, Eitelkeit, bisweilen Zorn« –
»Dies ist also eurer Zwietracht Born?«
Spricht die Taube drauf;
»Gib das Klagen auf;
Deine Laune reizt den Mann zum Zorn.«


»Wie, was muß ich hören? meine Launen,« –
Fällt darauf ergrimmt die Elster ein, –
»(Ueber deine Frechheit muß ich staunen) –
Sollten Schuld an meinem Elend seyn?
Fort, hinweg von mir,
Geh’, du dummes Thier!
Zu den Tauben ein,mich laß allein!«
*
Man bekennt nicht selten seine Schwächen!
Andre sollen dann uns widersprechen!

Jean-Pierre Claris de Florian
frei metrisch bearbeitet von:
Conrad Samhaber
München, 1834

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