Freitag, 3. April 2009

Die Raupe und der Schmetterling


In einer grün bewachsnen Hecke
Sah einstens eine träge Schnecke,
Daß oben eine Raupe hing,
Die nun damit zum Werke gieng,
Sich nach Gewohnheit einzuspinnen, Ein anderer Leben zu beginnen.

Wie übel, sprach sie, geht es dir!
Du mußt dir selbst dein Grab bereiten,
Und kömmst, nach dir bestimmten Zeiten,
In anderer Gestalt herfür;
Dein erstes Wesen wird zerstöret,
so Farb als Bildung ändert sich;
Doch ich bin unveränderlich,
Und werde nicht, wie du verkehret;
Denn wenn ich mich auch gleich verstecke,
Verbleib ich doch stets eine Schnecke.

Freund! dieses ist ein falscher Wahn,
Ließ sich die Raupe drauf vernehmen;
Ich find unbillig, mich zu grämen;
Mein Tod gebiert mir neues Leben,
Und setzt mir leichte Flügel an,
Daß ich mich von der Erden heben
Und nach der Höhe schwingen kann;
Du aber bleibest für und für
Verächtlich an dem Staube kleben,
Und bist ein niederträchtig Thier;
Drum sieh, wie gütig und geneigt
Mein weises Schicksal mit mir handelt,
Da es mein Wesen so verwandelt,
Daß es verbessert aufwärts steigt.

***
Das Sterben bringt viel minder Schaden,
Als man aus Furcht zu glauben pflegt;
Wir werden von der Last entladen,
Die uns zur Erden niederschlägt;
Drum soll man sich darum nicht quälen,
Daß man nicht länger leben kann;
Der Tod setzt gleichsam unsern Seelen
Zur Ewigkeit die Flügel an.
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Die alten Aegyptier, Griechen und andere Völker pflegten daher einen Schmetterling oder Zweyfalter, als ein Sinnbild der befreyten Seele, auf ihre Leichensteine und todtengefäße eingraben oder malen zu lassen, vermuthlich, weil im Griechischen ein Wort sowohl die Seele, als ein verwandelte Raupe oder Schmetterling bedeutet. Siehe etwas hiervon in des Spons Recherches curieuses d’Antiquite, am Ende, wo ich mich recht besinne. Demnach hat diese Fabel wirklich einigen Grund in der Antiquität.

Daniel Wilhelm Triller
Neue aesopische Fabeln

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