Freitag, 16. Januar 2009

Die Wildgans und der Igel


Auf der Reise nach Süden machen die Wildgänse Rast auf einer Wiese. Eine Gans entfernt sich ein wenig von den anderen, um mit dem Igel zu plaudern.
»Na, alter Knabe, wieder auf der Suche nach Gestrüpp und einem Versteck vor dem frostigen Winter?«
»Nicht nötig, nicht nötig!«, antwortet der Igel verärgert. »Wenn’s so weit ist, finde ich überall eine Ecke und muss nicht mit Mühe und Schweiß vor Herrn Frost davonlaufen.«
»Wer läuft denn davon?«, rechtfertigt sich die Gans. »Wir ziehen dorthin, wo es warm ist und uns der strenge Herr nicht folgen kann. Sozusagen auf Urlaub ziehen wir davon.«
»Mir folgt der Winter ebenfalls nicht in meine Strauchecke«, murmelt der Igel, während er einen fetten Regenwurm verschlingt, den er geschickt aus der Erde gezogen hat. »Mein Fett und das Laub halten ihn fern, und erst die Frühlingssonnenstrahlen holen mich wieder hervor. Solange hab’ ich Urlaub und das, ohne weite Wege zu gehen.«
»Wir gehen auch nicht, wir fliegen!«, versucht die Gans erneut ihre Situation positiv darzustellen.
»Natürlich!«, sagt der Igel mit einem hinterlistigen Augenzwinkern. »Direkt in die Schrotschüsse der Jäger.« Dreht um und eilt auf seinen kurzen Beinen davon.
Die Gans ist eine Weile stumm und kehrt dann zu ihrer Gruppe zurück. Dabei murmelt sie: »Wir können, wenn’s drauf ankommt, so hoch fliegen, dass kein Schuss uns erreicht. Aber kann er so sicher über die befahrene Straße laufen, dass kein Fahrzeug ihn plattwalzt?«
Horst-Dieter Radke

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