Sonntag, 28. September 2008

Rangstreit der Bäume


Die Bäume gingen hin, um einen König über sich zu salben, und sprachen zum Ölbaum: Sei unser König! Aber der Ölbaum antwortete ihnen: Soll ich meine Fettigkeit lassen, die Götter und Menschen an mir preisen, und hingehen, über den Bäumen zu schweben? Da sprachen die Bäume zum Feigenbaum: Komm du und sei unser König! Aber der Feigenbaum sprach zu ihnen: Soll ich meine Süßigkeit und meine gute Frucht lassen und hingehen, über den Bäumen zu schweben? Da sprachen die Bäume zum Weinstock: Komm du und sei unser König! Aber der Weinstock sprach zu ihnen: Soll ich meinen Wein lassen, der Götter und Menschen fröhlich macht, und hingehen, über den Bäumen zu schweben? Da sprachen alle Bäume zum Dornbusch: Komm du und sei unser König! Und der Dornbusch sprach zu den Bäumen: Ist's wahr, dass ihr mich zum König über euch salben wollt, so kommt und bergt euch in meinem Schatten; wenn nicht, so gehe Feuer vom Dornbusch aus und verzehre die Zedern Libanons.

Richter 9, 8-15

Das Gelübde

Nichts pflegt der Rachbegier an Thorheit gleich zu sein.
Ein Mann, der unverhofft sein feistes Kalb vermißte,
Schwur, wenn er seinen Dieb nur zu entdecken wüßte,
So wollt' er einen Bock dem Pan zum Opfer weihn.

Sein Wunsch ward ihm gewährt. Es kam ein Pantherthier,
Das gafft' und bleckt' ihn an, und droht' ihn zu verschlingen.
Da seufzt' er: ich will gern mein Opfer zehnfach bringen,
Nur treib', o starker Pan! den nahen Feind von hier.

Betrogne Sterblichen, wer kennt sein wahres Wohl,
So oft Gelübd' und Wunsch den Rath der Allmacht störet?
Wenn uns des Himmels Zorn, zu unsrer Straf', erhöret,
So lernt man allererst, warum man bitten soll.

Friedrich von Hagedorn

Freitag, 26. September 2008

Von einem Fuchs und einen Raben

Von torechter uppekeit

Ein fuchs eis mals hungern began.
Under einen hochen böm er kan,
Uf den ein rappe kam geflogen
Mit einem kes, den er gezogen
Von einem spicher hatte do.
Des was der fuchs unmassen fro.
Do in der fuchs von erst ersach,
Mit glatten worten er do sprach:
“Got grus uch, lieber herre min!
Uiwer diener wil ich sin,
Und iemer wesen uwer knecht.
Das dunkt mich billich unde recht;
Ir sint so edel und so rich.
Kein vogel mag sin uwer glich
In allen kunigrichen.
Ich wen, uch mus entwichen
Der sperwer und das velkelin,
Der habk und öch des pfawen schin.
Sus ist uwer kelen schal.
Uiwer stim hort man uberal
In dem wald erklingen,
Wen ir geratent singen;
Des hab ich wol genomen war.”
Der rappe sprach: “Du sagest war.”
“Nu singent, lieber herre min!”
Do sprach der rappe: “Das sol sin!”
Er lies sin stim us, unde sang,
Das es durch den wald erklang.
In dem gesang enpfiel im do
Der kes; des wart der fuchs vil fro.
Des must der rappe schamrot stan,
Dar zu must er den schaden han.
Es ist noch billich, samir got,
Das der hab schaden unde spot,
Wer dem glichsner glöbet bas
Dan im selben. Wissent das,
Das ubermessig uppekeit
Und zu vil eren laster treit
Und gebirt dem selben man,
Der sich des lobes nimet an,
Des er, noch sin geslechte nie
wirdig wart: als es nu hie
In dirre bischaft ist worden schin.
Du glichsner iemer mussent sin
Verwassen, und öch der da bi
Der ein valscher verrater si.

Ulrich Boner (um 1300)
aus: Der Edelstein
Herausgegeben von George Friederich Benecke, Berlin 1816

Die Spinne


Foto: ⓒ Jeremias Radke

Hochmütig über ihre Künste,
Warf vom durchsichtigen Gespinste
Die Spinne manchen finstern Blick
Auf einen Seidenwurm zurück;
So aufgebläht, wie ein Pedant,
Der itzt, von seinem Wert erhitzet,
In Werken seiner eignen Hand
Bis an den Bart vergraben sitzet,
Und auf den Schüler, der ihn grüßt,
Den Blick mit halben Augen schießt.
Der Seidenwurm, den erst vor wenig Tagen
Der Herr zur Lust mit sich ins Haus getragen,
Sieht dieser Spinne lange zu,
Und fragt zuletzt: "Was webst denn du?"
"Unwissender!" läßt sich die Spinn erbittert hören,
"Du kannst mich noch durch solche Fragen stören?
Ich webe für die Ewigkeit!"

Doch kaum erteilet sie den trotzigen Bescheid:
So reißt die Magd, mit Borsten in den Händen,
Von den noch nicht geputzten Wänden
Die Spinne nebst der Ewigkeit.

----

Die Kunst sei noch so groß, die dein Verstand besitzet,
Sie bleibt doch lächerlich, wenn sie der Welt nicht nützet.
Verdient, ruft ein Pedant, mein Fleiß denn keinen Dank?
Nein! Denn er hilft nichts mehr, als andrer Müßiggang.

Christian Fürchtegott Gellert

Mittwoch, 24. September 2008

Der Habicht schoß im schönsten Schall

Der Habicht schoß im schönsten Schall
Der kleinen Nachtigall

Hinab und biß sie todt.

»Du schlechter Freund der Virtuosen!«

Sprach König Aar. Der aber ward nicht roth:

»Was? liebzukosen

In Hungersnoth?«


Was werden alle Musen neu

Und Gott Apollo höchstmit sein,

Wenn unsre Kinder Hungers schrein

Und unsre Länder darben

Und unsre Prasser starben?

Johann Gottfried Herder

Dienstag, 23. September 2008

Die gefangene Drossel

Eine Drossel, die sich fing,
Als sie nach den Beeren ging,
Ließ der Thorheit sich gereuen,
Wär’ ich, sprach sie, wieder frei,
So wollt’ ich die Leckerei
Aerger, als den Geier scheuen.

Eine Jungfer, die sich flink
An die jungen Näscher hing,
Die sie um das Kränzchen brachten,
Schrie, in der Gewissenspein,
Möcht’ ich wieder Jungfer seyn,
Wollt’ ich keinen Kerl mehr achten.

Magnus Gottfried Lichtwer

Sonntag, 21. September 2008

Der Adler und die Pfeifenvögel


Ein Adlererbe gab vor Zeiten
Der ersten Nachtigall den Preis,
Er hatte sie behorcht von weiten
Schon manchen Mai, da noch der Greiß
Sein Vorfahr königlich regierte,
Der auf ihr Lied nie Acht gehabt.
Jezt ward sie öffentlich begabt
Mit Ehre, die ihr längst gebührte.
Ha! nun erhub sich ein Geschrei:
Der neue Felsbesitzer sey
Ein großer Freund des Singechores –
Da pfiffen Amsel, Drossel, Staar,
Und Gümpel, und die ganze Schaar
Versprach sich auch des Adlerohres
Gehör bei ihrem Schnabelschall;
Er aber ließ herab befehlen:
Schont Eure Schnäbel, eure Kehlen!
Mein Ohr gehört der Nachtigall.

Anna Louisa Karsch

Samstag, 20. September 2008

Die Schildkröte und die Ratte



Vor dem Sturm eilt sich zu schützen
Manches Thier dem Walde zu;
Nur die Schildkröt' bleibet liegen
Auf dem off'nen Feld in Ruh.

Dies erblickt die Ratte; zeigen
Will sie auch den gleichen Mut,
Daß auch sie der Sturm nicht schrecke
Noch des Regens kühle Flut.

Tückisch grollend lacht der Eitlen
Jene bei sich, denn sie sah
Ueber sich, bald Unheil bringend,
Weiße Hagelwolken nah.

Und nicht lang', so rauscht es; Schlossen
Schlagen nieder, scharf und dick.
In ihr Schild zieht jetzt die Kröte
Sicher Kopf und Bein' zurück.

Doch die arme Ratte findet
Keinen Schirm, der sie hier deckt;
Und in wen'gen Augenblicken
Liegt sie todt dahingestreckt.

Miß nicht, Armer, dich mit Reichen,
In der Not deckt sie ihr Glück.
Nackend sinkst du; jene freuet
Oefters noch dein Mißgeschick.

Friedrich Müller (Maler Müller)
aus: Gedichte. Jena 1873, S. 76-77.

Freitag, 19. September 2008

Was die Fabel sein kann …

… belehrend, hinterlistig, spitzfindig, tiefgründig, naseweis, altbacken, philosophisch, moralisch, amoralisch, humorvoll, lustig, traurig, schlitzohrig, besserwisserisch, neunmalklug, weise, verstaubt, antik, modern, überraschend, vorhersehbar, ein Fingerzeig, vernachlässigbar, erforscht, unbekannt, eine Dichtung, aus dem Leben gegriffen, aufgesetzt, erhaben, erniedrigend, falsch, problembezogen, neuartig …

Horst-Dieter Radke

Donnerstag, 18. September 2008

Feindschaft zwischen Kröten und Spinnen


Erasmus von Rotterdam in seinen Gesprächen erzehlet eine Geschicht, welche würdig ist, daß man sie mercke: Und ob er zwar selber es eine Fabel nennet, so bezeugets doch jetzund die tägliche Erfahrung, daß es sich in der Natur wahrhafftig also befindet. Zwischen der Spinnen und der Kröten ist eine innerliche und inbrünstige Feindschafft und grosse Widerwärtigkeit, daß wann die Spinne der Kröten ansichtig wird, sie alsbald diese anfähret und zu tödten sich bemühet.

Auf eine Zeit hatte ein Mönch in Britannien etliche Bündlein Grases oder Binsen gesammlet, selbige in seine Kammer zu streuen zur Erfrischung. Er legt sich schlaffen aufm Rücken, siehe, da kreucht ihm eine grosse Kröte ans Maul, hefftet sich an die Ober- und Unter-Leffze mit ihren vier Füssen gar fest. Die Kröte mit Gewalt abzureissen wäre der gewisse Tod gewesen: Sie sitzen lassen und so immerfort am Munde tragen, wäre greulicher als der Todt. Was war hier für Mittel und Rath? Da seynd etliche Naturerfahrne Leute gewesen, welche gerathen, man solte den Mönch ans Fenster tragen, aufn Rücken legen, gerade unter eine grosse Spinne, die eben zur Zeit allda ihre Herberge hatte. Solches ist geschehen. Die Spinne, so bald sie ihres Feindes, der Kröten gewahr worden, hat sich mit einem Faden schleunig herunter gelassen, ist der Kröten aufn Leib gesessen, ihr einen Stich gegeben und alsbald wieder mit ihrem Faden in die Höhe gefahren. Die Kröte fänget an zu schwellen, bleibet aber sitzen. Die Spinne sticht noch einmal: Die Kröte schwillet noch mehr, stirbt aber doch nicht. Endlich drittens wie die Spinne noch eins gestochen, hat die Kröte ihre vier Füsse nach sich gezogen, ist gestorben und vom Mönche abgefallen.

Es ist nichts in der Natur so böß oder gifftig, daraus den Menschen nicht kan Nutz und Frommen entstehen.

Quelle: Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 483-484.

Mittwoch, 17. September 2008

Die seinen Fabeln zu Grunde liegenden Stoffe …

Im Erzählungston nahm er sich die Franzosen, besonders Lafontaine zum Muster. An Leichtigkeit und Grazie übertraf er alle deutschen Fabel- und Erzählungdichter vor ihm und seine Fabeln wurden, zumal da damals durch die ästhetischen Schriften der Schweizer das Interesse auf diese Kunstgattung hingelenkt wurde, rasch beliebt; sie wurden das Vorbild für die Fabeln Gellert’s. …

Die seinen Fabeln zu Grunde liegenden Stoffe entlehnte er aus den verschiedensten älteren und neueren Schriftstellern; er zeigt dabei eine umfassende Belesenheit. Eine seiner Hauptquellen war Burkhard Waldis. Wir sind über das Verhältniß Hagedorn’s zu seinen Vorgängern dadurch unterrichtet, daß er selbst seinen Fabeln ebenso wie seinen übrigen Dichtungen ausführliche Anmerkungen beifügte, ein Gebrauch, der damals schon zu veralten begann, dem er jedoch mit großer Vorliebe anhing. Hagedorn’s litterarischer Ruhm war durch die Fabeln fest gegründet; fast alle, die sich damals in der Litteratur auszeichneten, suchten mit ihm in Verbindung zu treten.
Quelle: Allgemeine deutsche Biographie,
Bd. 10, Gruber - Hassencamp, Leipzig 1879

Dienstag, 16. September 2008

Friedrich von Hagedorn

Quelle (Abb.): Wikipedia

Friedrich von Hagedorn wurde am 23. April 1708 in Hamburg als ältester Sohn eines wohlhabenden Regierungsrates in Dänischen Diensten geboren. Er erhielt Privatunterricht, musste aber nach dem Tod des Vaters (1722) an das Akademische Gymnasium in Hamburg wechseln. Ab 1726 studierte er Rechtswissenschaften an der Universität in Jena, brach das Studium aber nach sechs Semester ab, weil er vor seinen Gläubigern fliehen musste. Als Privatsekretär des dänischen Gesandten von Söhlenthal reiste er 1729 für zwei Jahre nach London. Hier erwarb er sich gute Kenntnisse der englischen Literatur. Zurück in Hamburg nahm er zunächst eine Hausmeisterstelle, dann eine gut bezahlte Stelle als Sekretär bei der Handelsgesellschaft »English Court« an. Einige Jahre später (1737) heiratete er die Tochter eines englischen Schneiders. Die Ehe blieb kinderlos. Hagedorn war ein Genussmensch, der sich gern dem Essen, Trinken und Rauchen hingab. Bereits Mitte 30 war ein kein gesunder Mensch mehr, litt an Gicht, Atem- und Herzproblemen, Lähmungen sowie Wasser in den Beinen. Am 28. Oktober 1754 starb er 46jährig an Wassersucht.

Bereits während der Studienzeit veröffentlicht Hagedorn Dichtungen, die sich vor allem an antike (vor allem Horaz) aber auch französische und später englische Vorbilder orientiert. Dabei ist er durchaus eigenständig und kein reiner Nachahmer. 1738 veröffentlicht er seinen »Versuch in poetischen Fabeln und Erzählungen« und übte damit einen großen Einfluss aus. Er hatte Kontakt zu anderen Dichtern seiner Zeit wie Gottsched, Klopstock, Gleim, Bodmer und Lessing.

Horst-Dieter Radke

Montag, 15. September 2008

Der Künstler und der Wollhändler (Parabel)


Das Athenebild war fertig. Elfenbeinern die Glieder, das Gewand von rotem Golde. Da trat Lysigenes, der Wollhändler, in die Werkstatt des Phidias.

»Sehr schön«, sagte er lächelnd. »Aber ich hätte sie ganz aus Gold gefertigt. Eine Stadt wie Athen muß Götter aus gediegenem Golde haben, nicht aus wohlfeilerem Stoffe.«

»Das hätte ich auch getan,« war des Phidias Antwort, »wenn ich Lysigenes hieße.«

Edward Stilgebauer
aus der Zeitschrift: Der Floh, 2.1.1910

Sonntag, 14. September 2008

Jupiter und die Schnecke



Jupiter verhieß den Thieren, die er in der Welt erschuf,
Das zu geben, was sie wünschten. Jedes kam auf seinen Ruf.
Alle wünschten, alle baten; was sie baten, ward verliehn.
Zu den andern kroch die Schnecke, bis sie vor dem Zeus erschien.

Diese sprach: O Haubt der Götter, laß mich doch ein Haus erflehn,
Das nur mir, nicht andern, dienet, still darin herumzugehn!
Wenigstens bleibt meine Wohnung von Verdrießlichen befreit,
Ich entschleiche vielen Forschern, vielen Neidern, vielem Streit.

Tausend mögen stolzer wählen; jeder Segen, der mir blüht,
Blüht mir schöner und gedoppelt, wann ein Böser ihn nicht sieht.
Wahl und Vortrag ward gebilligt: Jupiter ging dieses ein,
Und vor vielen schien die Schnecke glücklich und gescheidt zu sein.

Friedrich von Hagedorn

Samstag, 13. September 2008

Die Geige



(Eine Fabel aus dem 17. Jahrhundert)

Ein durchreisender Musiker ging in Cremona durch die Werkstätten der großen Geigenbauer Amati, Guarneri und Stradivari. Er nahm jede Geige in die Hand und besah sie lange. Viele legte er wieder weg, ohne ihren Ton gehört zu haben. Manche zupfte er an und nur wenigen entlockte er mit dem Bogen ein paar Töne. Zum Schluss wählte er ein Instrument aus der Werkstatt von Nicola Amati.

Auf dem Heimweg fragte sein Begleiter, ob es auch hätte sein können, dass eine der weggelegten Geigen die bessere gewesen wäre. »Instrument und Musiker müssen zusammen passen« antwortete der Violinist. »Aber wenn der Musiker es nicht schafft, dem Instrument das an Klang zu entlocken, was in ihm steckt, dann nützt die beste Geige nichts.«

Nach einigem Nachdenken fügte er noch hinzu: »Der Mensch ist es, der die Entscheidung trifft, welches Instrument er zum Klingen bringen will, genauso wie er für die Musik verantwortlich ist. Die Geige aber sorgt dafür, dass der Instrumentalist seine Gedanken und Vorstellungen angemessen umsetzen kann.«

Horst-Dieter Radke

Donnerstag, 11. September 2008

Die Trommel

(Eine Fabel aus dem alten Indien)

Lange saß der Mann vor der Trommel und sah sie an. Dann, als alle glaubten, er wäre eingeschlafen und würde nun nicht mehr spielen, nahm er sie vorsichtig in seinen Schoß und begann leise und zaghaft mit den Händen auf Fell und Rahmen zu klopfen und zu streicheln. Immer intensiver wurde das Spiel, so dass alle bald von den bezwingenden Rhythmen gefangen waren.

Als nach dem Spiel einer der Zuhörer fragte, ob es auch hätte sein können, dass er nicht getrommelt hätte, sagte der Mann: »Die Trommel kann man nicht spielen. Man muss hören können und sich von ihr leiten lassen. Ein richtiger Musiker wird von ihr gespielt – dann ist es Musik.«

Horst-Dieter Radke

Mittwoch, 10. September 2008

Die Raupe und der Schmetterling


Eine kleine Raupe lag,
In ihr Leichentuch gesponnen,
Tot im Angesicht der Sonnen,
Und es war der schönste Tag.

Und ein schöner Schmetterling
Kam geflogen, setzte sich
Still daneben, sagte: Dich,
Kleine Raupe, wird nun bald
Die allmächtige Gewalt,
Die dort oben strahlt, erheben,
Und noch schöner an Gestalt,
Als du starbest, wirst du leben!
Toter! ich will Achtung geben,
Wie du zu dem zweiten Leben
Wirst hervor gehn!

Plötzlich warf
Sie die Schal' ab, ließ sie liegen,
Und der schöne Schmetterling
Sah den neuen Engel fliegen,
Wenn ich ihn so nennen darf.

Johann Wilhelm Ludwig Gleim

Dienstag, 9. September 2008

Emil

Emil, der seit geraumer Zeit,
Den Klugen wohl bekannt, bei seinen Büchern lebte,
Und mehr nach der Geschicklichkeit
Zu einem Amt, als nach dem Amte strebte,
Ward einst von einem Freund gefragt,
Warum er denn kein Amt noch hätte,
Da doch die ganze Stadt so rühmlich von ihm redte,
Und mancher sich vor ihm schon in ein Amt gewagt,
Der nicht den zehnten Teil von seinen Gaben hätte?
»Ich«, sprach Emil, »will lieber, daß man fragt,
Warum man mich doch ohn ein Amt läßt leben,
Als daß man fragt: warum man mir ein Amt gegeben?«

Christian Fürchtegott Gellert

Montag, 8. September 2008

Christian Fürchtegott Gellert

Quelle Foto: Wikipedia

Christian Fürchtegott Gellert wurde als Sohn eines Pfarrers am 4. Juli 1715 in Hainichen am Erzgebirge geboren. Die Familie ist nicht reich, alle müssen mit dem Nötigsten zurecht kommen. Trotzdem ermöglicht der Vater dem Sohn den Besuch der Fürstenschule St. Afra in Meißen und lässt ihn 1734 das Studium der Philosophie und Theologie in Leipzig beginnen. Aus Geldmangel muss er jedoch das Studium abbrechen. Bis 1740 arbeitet Gellert dann als Prediger, Hauslehrer und Erzieher in Hainichen. In dieser Zeit erscheinen seine ersten Veröffentlichungen. Gellert kehrt jedoch nach einem Jahr nach Leipzig zurück und nimmt das Studium wieder auf. Er verdient seinen Lebensunterhalt durch Privatunterricht und das Verfassen von Gelegenheitsgedichten. Er ist auch als Mitarbeiter Gottscheds an der Übersetzung von Pierre Bayles »Historischem und Critischem Wörterbuch« beteiligt.

In der Zeitschrift »Belustigungen des Verstandes und des Witzes« (von 1741-48) erscheinen neben Gedichten, Erzählungen, Oden und poetische Sendschreiben auch erste Fabeln. 1743 schließt er sein Studium als Baccalaureus und Magister der Weltweisheit ab. Im Dezember 1744 erfolgt die Habilitation mit der öffentlichen Verteidigung seiner Dissertation über die Theorie und Geschichte der Fabel. Er wird Privatdozent für Poesie und Beredsamkeit an der Philosophischen Fakultät in Leipzig. 1746 erscheint der erste Band von Gellerts »Fabeln und Erzählungen«, 1748 der zweite Band. Es erscheinen in Folge zahllose Neuauflagen, Raubdrucke und Übersetzungen in die meisten europäischen Sprachen. Damit werden Gellerts Fabeln zu einem frühen belletristischen Longseller. Gellert wandte sich von der gelehrten Dichtung ab und bemühte sich, den Mann auf der Straße zu erreichen - und das ist ihm zumindest mit diesem Buch mehr als gelungen. 1751 wird Gellert in Leipzig zum außerordentlichen Professor der Philosophie ernannt. Durch Gellerts Buch »Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen« wird die deutsche Brief- und Schreibkultur der folgenden Jahrzehnte nachhaltig geprägt.

1753 folgt ein erster Kuraufenthalte in Karlsbad, 1755 lernt er Lessing kennen. 1757 erkrankt Gellert schwer, 1761 lehnt er aus gesundheitlichen Gründen das Angebot einer ordentlichen Professur ab. 1763 erneuter Kuraufenthalt in Karlsbad. Anlässliche der Studentenunruhen in Leipzig hält Gellert eine Mahnrede. Am 13. Dezember 1769 stirbt Gellert, vermutlich an einem Unterleibsleiden und Tuberkulose. Zu seiner Beerdigung vor Weihnachten ist der Andrang so groß, dass der Rat der Stadt beschließen muss, das Gelände des Johannisfriedhofs zu sperren.

Horst-Dieter Radke

Die Kuh und der Fuchs



»Fuchs, seh ich recht, so bist es du!«

So sprach zum schlauen Fuchs die Kuh;

»Du kommst erwünscht hieher gegangen;

Gleich heute war ein Jahr vergangen,

Seitdem wir uns auf dieser holden Matten

In segensvollem Stand gesehen hatten.

Nun wünsch ich dir zu einem guten Jahre

(Damit ich eitle Wünsche spare),

Was sich für deinen Wohlstand füchsisch schickt

Und dich in deinem Fuchsenherz erquickt;

Zur Sommerszeit Kohl, Gras und fetten Klee;

Und fällt zu seiner Zeit ein tiefer Schnee,

So wünsch ich dir nur Haber, Salz und Heu,

Und Stroh für deine Füß’, und für dein Maul kein Spreu.

«

Drauf sprach der Fuchs: »Ei, liebe Kuh,

Ich bin zum schönsten dir verpflichtet;

Du hast den Wunsch auf meine Ruh

Und auf die Umständ’ eingerichtet.

Wie trefflich trafst du meinen Sinn,

Herzallerliebste Nachbarin!

Ich muss mich herzlich vor dir schämen,

Wo soll ich Gegenwünsche nehmen?

Die dich, wie deine mich, erquicken,

Die sich gleich trefflich für dich schicken.

Ich wag’s, und wünsche dir hingegen

Vom großen Jupiter den Segen;

Bald Enten, Hühner, Hasen, Tauben;

Bald aber auserlesne Trauben;

Bald Fischchen aus aus den klaren Flüssen,

Nebst Überfluss an Kirsch’ und Nüssen.«

Johann Ludwig Meyer von Knonau

Samstag, 6. September 2008

Papst-Fabeln

Bei den »Papst-Fabeln des Mittelalters« handelt es sich nicht um wirkliche Fabeln. Der katholische Theologe und Historiker Ignaz von Döllinger (1799 - 1890) schrieb das gleichnamige Buch als »Ein Beitrag zur Kirchengeschichte« (1863, 2. Aufl. 1890) und behandelte darin Themen wie das über die Päpstin Johanna. Döllinger (wie auch andere Autoren zu diesem Thema) setzt Fabel mit Sage oder Dichtungen gleich: »… Es schien mir, daß die hier vorgelegten Ergebnisse meiner Forschungen sich in so fern zu einer Einheit zusammenschlössen, als alle diese Fabeln und Erdichtungen, wie verschieden auch die Anlässe zu denselben waren, und wie absichtlich oder unabsichtlich sie entstanden sein mögen, doch einen großen, zuweilen einen entscheidenden Einfluß auf die ganze Anschauungsweise des Mittelalters, auf die damalige Geschichtschreibung und Poesie, auf Theologie und Rechtslehre geübt haben …« (aus dem Vorwort zur 1. Auflage, 1863). Dieses auch heute noch lesenswerte Buch trägt also leider ebenfalls zur undifferenzierten Ausdeutung des Begriffes »Fabel« bei. Das Buch wird immer wieder aufgelegt, teilweise aber mit Titeln und Buchcovern, die der eigentlichen Intention des Autors zuwiederlaufen: »Die geheimnisvollen Papst-Fabeln und Mythen des Mittelalters«.

Horst-Dieter Radke

Die Raupe



Kind
Was hast du Raupe mir gemacht?
Um Blatt und Blüthe ganz gebracht
Hast du das schöne Bäumlein da,
Wie man so schön noch keines sah!

Raupe
Sei nicht so zornig über mich,
Und denk ein wenig nur an dich.
Nicht wahr, du liebst was Gutes sehr?
Und ich hab nicht gesündigt mehr;
Ich aß nur, was mir herrlich schmeckt,
hier war für mich der Tisch gedeckt!

Kind
Hast Recht, ich kann nicht böse sein,
Und will dir dieß Mal gern verzeihn;
Doch ach, wie mich das Bäumchen reut,
Fort ist die Frucht und aus die Freud!
Wilhelm Corrodi
Zürich 1876

Donnerstag, 4. September 2008

Die Fliege

ⓒ Jeremias Radke

Seht, Freunde, seht, die arme Fliege hier,
Beklagt, bejammert sie mit mir!
Sie sah den Wein in meinem Glase blinken;
Er lockte sie, zu ihm herab zu sinken,
Und auch, wie wir, Ambrosia zu trinken.
Sie sank herab,
Und fand ihr Grab,
Und trank den Tod, wo wir das Leben trinken.

Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Aus »Lieder«, Erstdruck: Amsterdam 1749.

Mittwoch, 3. September 2008

Die Spinnengerechtigkeit



Auch die Spinne wollte einst gerecht sein und sagte der Besenfrau, welche alle Wochen einmal ihr Haus in den Staub legte, sie sei gewiß kein so böses Geschöpf, als man sie allgemein dafür halte; es sei freilich wahr, sie empfinde nicht alles immer richtig, was an den äußersten Spitzen ihrer langen Spindelgebeine vorgehe. Und wenn sie zuzeiten genötigt sei, ein unglückliches Tier wegen Frevel und Unruhe zu ihrem Haupt bringen zu lassen, so sei sie ganz unschuldig, wenn ihre gefühllosen Fingerspitzen ein solches Tier etwa zu hart in die Klauen fassen.
Heinrich Pestalozzi

Dienstag, 2. September 2008

Kaffee und Löffel

Foto: Jeremias Radke
Bildbearbeitung: Horst-Dieter Radke

»Mir wird ganz schwindlig, wenn du weiter so rührst!« sagt der Kaffee zum Löffel. »Das ist die einzige Möglichkeit, Milch und Zucker vollständig mit dir zu vereinen!« erwidert der Löffel trocken.

Horst-Dieter Radke

Montag, 1. September 2008

Von einem Vrösche und einer Miuse



von Untriuwe und von Triegende

Ein vrösch zuo einer miuse sprach
alrêrst do er sie an gesach:
»got grüez dich, trût gespile min!
stæt sol unser vriuntschaft sin!«
diu mûs den weg nicht mochte hân,
daz hâte ein vliezent bach getân.
»ich wil dir helfen, samir got!«
sprach der vrösch »ân allen spot,
daz du wol kumest in din hûs.«
an sinen vuoz hant er die mûs
mit einer snüere. daz beschach.
der vrösch zuo der miuse sprach:
»ich wil dich lêren swimmen wol
(untriuwen was sin herze vol),
sô macht wol komen in din hûs.«
»wol hin!« sprach diu tumbe mûs.
der vrösch bald in daz wazzer vlôch,
an dem vuoze er nâch im zôch
die mûs; er wolt sich senken
und sinen vriunt ertrenken.
diu mûs strebt ûf, der vrösch zôch nieder;
daz er gelobt, dâ tet er wider,
sin triuwe er an der miuse brach.
ein küener wîge daz ersach
und schiet den argen krieg alsô,
daz er sie beide machte unvrô.
die mûs er in die klâwen vieng,
der vrösch vast an der snüere hieng,
da er sich hât verstricket in.
ir beider leben was dâ hin:
er liez si vallen ûf daz gras,
vil balde er sie beide vraz.

Im selben gruob et dicke ein man,
und wænt eim andern gruobet hân.
an untriwe, wâ diu vür gât,
ein guotez ende selten stât.
wà wort und werk sint ungelîch,
der mensch wirt kûm an èren rich.
wâ diu zung mit rügenheit
verbirgt des herzen valschekeit,
vil kûme sich wip oder man
vor dem valsch gehüeten kan.
hæte der vrösch dâ nicht betrogen
die mûs, und als værlich gelogen,
sô möcht er vil wol sin genesen.
geschant al velscher müezin wesen!

Ulrich Boner (um 1300)
aus: Der Edelstein
Herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1844

Die kleine Gattung der Fabel …

… Die kleine Gattung der Fabel wurde das Mittelalter hindurch bis zu Boner ungemein fleißig gepflegt. Sie blüht, auch von Luther geliebt, im sechzehnten Jahrhundert bei den Waldis, Alberus, H.Sachs; sie vegetiert, von Andreäs geistreichen lateinischen Prosaapologen abgesehen im siebzehnten; sie schmückt als ein so angenehmes wie nützliches Ziergewächs die sauberen Beete des achtzehnten. Diesem lehrhaften Zeitalter mußte die Fabel besonders ans Herz wachsen; auch trieb Frankreich zur Nachahmung, seitdem La Fontaines Genie klassische Leistungen gezeugt und namhafte Männer wie La Motte, den uns Brockes näher brachte, sich theoretisch und praktisch mit der Fabel beschäftigt hatten. Den plumpen Reimisten vom Schlag Stoppes und Trillers eilte Hagedorn aus der Schule La Fontaines entgegen die vierziger Jahre hoben Gellert auf den Schild, J.A. Schlegel gewann Lob, 1748 folgte der urprosaische Lichtwer, mit dem in Halberstadt Gleim konkurrierte, preußischer Patriot auch als Fabulist. Der Praktiker der Schweiz war, von Bodmer abgesehen, Meyer v. Knonau, nachdem Breitinger seine Lehren auf La Motte gegründet und als Eiferer des Wunderbaren die allegorischen Mirakel auseinandergesetzt hatte. Völlig verfehlt erschienen Holbergs ungebundene Fabeln, währen die kurze, schlanke Prosa Richardsons noch das Bleigewicht einer langweiligen und platten Betrachtung trug.

Erich Schmidt
aus: Lessing, Berlin 1923, S. 378