Montag, 1. September 2008

Die kleine Gattung der Fabel …

… Die kleine Gattung der Fabel wurde das Mittelalter hindurch bis zu Boner ungemein fleißig gepflegt. Sie blüht, auch von Luther geliebt, im sechzehnten Jahrhundert bei den Waldis, Alberus, H.Sachs; sie vegetiert, von Andreäs geistreichen lateinischen Prosaapologen abgesehen im siebzehnten; sie schmückt als ein so angenehmes wie nützliches Ziergewächs die sauberen Beete des achtzehnten. Diesem lehrhaften Zeitalter mußte die Fabel besonders ans Herz wachsen; auch trieb Frankreich zur Nachahmung, seitdem La Fontaines Genie klassische Leistungen gezeugt und namhafte Männer wie La Motte, den uns Brockes näher brachte, sich theoretisch und praktisch mit der Fabel beschäftigt hatten. Den plumpen Reimisten vom Schlag Stoppes und Trillers eilte Hagedorn aus der Schule La Fontaines entgegen die vierziger Jahre hoben Gellert auf den Schild, J.A. Schlegel gewann Lob, 1748 folgte der urprosaische Lichtwer, mit dem in Halberstadt Gleim konkurrierte, preußischer Patriot auch als Fabulist. Der Praktiker der Schweiz war, von Bodmer abgesehen, Meyer v. Knonau, nachdem Breitinger seine Lehren auf La Motte gegründet und als Eiferer des Wunderbaren die allegorischen Mirakel auseinandergesetzt hatte. Völlig verfehlt erschienen Holbergs ungebundene Fabeln, währen die kurze, schlanke Prosa Richardsons noch das Bleigewicht einer langweiligen und platten Betrachtung trug.

Erich Schmidt
aus: Lessing, Berlin 1923, S. 378

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